Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Wechselwirkung von Atomen berechnen, ohne daß die innere Struktur eines Atomkerns bekannt ist.) Letztlich hoffen wir jedoch, eine vollständige, widerspruchsfreie und vereinheitlichte Theorie zu finden, die alle diese Teiltheorien als Näherungen zusammenfaßt und die nicht durch irgendwelche willkürlichen Zahlen ergänzt werden muß, um sie mit den Beobachtungsdaten zur Deckung zu bringen. Die Suche nach einer solchen Theorie läuft unter dem Stichwort «Vereinheitlichung der Physik». Einstein verbrachte den größten Teil seines späteren Lebens mit der erfolglosen Suche nach einer vereinheitlichten Theorie. Die Zeit war eben noch nicht reif: Es gab Teiltheorien für die Gravitation und die elektromagnetische Kraft, doch über die Kernkräfte war sehr wenig bekannt. Überdies weigerte sich Einstein, an die Realität der Quantenmechanik zu glauben, obwohl er wesentlich zu ihrer Entwicklung beigetragen hatte. Nun scheint aber die Unschärferelation eine elementare Eigenschaft des Universums zu sein. Eine Vereinheitlichung der Theorie muß deshalb dieses Prinzip unbedingt berücksichtigen.
Wie ich noch beschreiben werde, sind die Aussichten, eine solche Theorie zu finden, heute ungleich besser, weil wir wesentlich mehr über das Universum wissen. Doch hüten wir uns vor allzu großer Zuversicht – zu oft schon haben wir Heureka gerufen! Zu Anfang des 20. Jahrhunderts glaubte man beispielsweise, daß sich alles mit den Eigenschaften kontinuierlicher Materie, etwa der Elastizität und der Wärmeleitung, erklären lasse. Die Entdeckung des Atomaufbaus und die Unschärferelation setzten dieser Hoffnung ein jähes Ende. 1928 war es wieder soweit: Der Physiker und Nobelpreisträger Max Born erklärte einer Gruppe von Besuchern an der Universität Göttingen: «Mit der Physik, wie wir sie kennen, ist es in einem halben Jahr vorbei.» Seine Zuversicht gründete sich auf die Entdeckung der Elektronengleichung, die Dirac kurz zuvor gelungen war. Man nahm an, daß eine ähnliche Gleichung das Proton beschreiben würde, das damals als einziges anderes Teilchen bekannt war, und daß damit die theoretische Physik an ihr Ende gelangt sei. Doch die Entdeckung des Neutrons und der Kernkräfte machte auch diese Hoffnung zunichte. Trotz dieser Feststellung glaube ich, daß wir Grund zu vorsichtigem Optimismus haben. Möglicherweise stehen wir jetzt wirklich kurz vor dem Abschluß der Suche nach den letzten Gesetzen der Natur.
In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die Allgemeine Relativitätstheorie, also die Teiltheorie der Gravitation, und die Teiltheorien erläutert, welche die schwache, die starke und die elektromagnetische Kraft beschreiben. Die letzten drei lassen sich zu den sogenannten Großen Vereinheitlichten Theorien, den GUTs, zusammenfassen, die aber noch nicht sehr befriedigend sind, weil sie die Gravitation nicht einbeziehen und weil sie eine Reihe von Größen, zum Beispiel die relativen Massen der verschiedenen Teilchen, enthalten, die sich nicht aus der Theorie ableiten lassen, sondern so gewählt werden müssen, daß sie mit den Beobachtungsdaten übereinstimmen. Die Hauptschwierigkeit, eine Theorie zu finden, die die Gravitation mit den anderen Kräften vereinigt, liegt darin, daß die Allgemeine Relativitätstheorie eine «klassische Theorie» ist, das heißt die Unschärferelation der Quantenmechanik nicht berücksichtigt. Andererseits beruhen die anderen Teiltheorien wesentlich auf der Quantenmechanik. Deshalb ist es zunächst erforderlich, die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Unschärferelation zu verbinden. Wie wir gesehen haben, kann das zu bemerkenswerten Konsequenzen führen, etwa der, daß Schwarze Löcher nicht schwarz sind oder daß das Universum keine Singularitäten enthält, sondern ohne irgendeine Grenze völlig in sich abgeschlossen ist. Wie ich im siebten Kapitel gezeigt habe, folgt aus der Unschärferelation leider auch, daß sogar «leerer» Raum mit Paaren virtueller Teilchen und Antiteilchen gefüllt ist. Diese Teilchen müßten über eine unendliche Energiemenge und damit – nach Einsteins berühmter Gleichung E = mc 2 – auch über eine unendliche Masse verfügen. Ihre Gravitationskräfte würden das Universum folglich zu unendlich kleiner Ausdehnung krümmen.
Zu ähnlichen, scheinbar absurden Unendlichkeiten kommt es in den anderen Teiltheorien, doch in allen diesen Fällen lassen sich die unendlichen Größen durch einen Prozeß aufheben, der als Renormierung
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