Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Zeitreise scheint es zwei Lösungsansätze zu geben: Den einen nenne ich Ansatz der konsistenten Geschichten (consistent histories). Danach muß das, was in der Raumzeit geschieht, auch wenn diese derart gekrümmt ist, daß Reisen in die Vergangenheit möglich sind, mit den Naturgesetzen zu vereinbaren sein. So gesehen könnten Sie nicht in der Zeit zurückreisen, es sei denn, die Geschichte zeigte, daß Sie bereits in der Vergangenheit waren und bei Ihrem Aufenthalt dort nicht Ihren Ururgroßvater umgebracht oder irgendwelche anderen Handlungen vollzogen haben, die zu Ihrer jetzigen Situation in der Gegenwart in Widerspruch stehen. Mehr noch – gingen Sie zurück, wären Sie nicht in der Lage, die überlieferte Geschichte zu verändern. Ihnen stünde also nicht frei zu tun, wozu Sie Lust hätten. Natürlich könnte man einwenden, daß die Willensfreiheit sowieso eine Illusion ist. Wenn es wirklich eine vollständige, vereinheitlichte Theorie gibt, die alles festlegt, dann bestimmt sie vermutlich auch unser Handeln. Doch das geschieht in einer Weise, die sich bei einem Organismus, der so kompliziert wie der Mensch ist, beim besten Willen nicht berechnen läßt. Von der Willensfreiheit des Menschen sprechen wir nur, weil wir nicht vorhersagen können, was er tut. Doch wenn er sich in ein Raumschiff setzt, ins All fliegt und zurückkommt, bevor er aufgebrochen ist, dann werden wir durchaus vorhersagen können, was er tun wird, weil sein Handeln Teil der überlieferten Geschichte ist. In dieser Situation hätte der Zeitreisende also keine Willensfreiheit mehr.
Die andere Möglichkeit, die Paradoxa der Zeitreise aufzulösen, könnte als Hypothese der alternativen Geschichten (alternative histories) bezeichnet werden. Ihr liegt die Überlegung zugrunde, daß Zeitreisende bei ihrem Eintritt in die Vergangenheit in alternative Geschichten geraten, die sich von der überlieferten Geschichte unterscheiden. So können sie frei handeln, ohne dem Zwang der Konsistenz mit ihrer bisherigen Geschichte unterworfen zu sein. Auf amüsante Art hat Steven Spielberg dies in seinen «Zurück in die Zukunft»-Filmen demonstriert: Marty McFly hat dort die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu reisen und die frühe Liebesbeziehung seiner Eltern in einen befriedigenderen Verlauf zu bringen.
Die Hypothese der alternativen Geschichten hat große Ähnlichkeit mit Richard Feynmans Aufsummierung von Möglichkeiten, jener neuen Methode zur Beschreibung der Quantentheorie, die ich in den Kapiteln vier und acht erläutert habe. Feynman nimmt an, das Universum habe nicht nur eine einzige Geschichte, sondern jede denkbare Geschichte, wobei jede ihre eigene Wahrscheinlichkeit besitzt. Allerdings scheint es einen wichtigen Unterschied zwischen Feynmans Methode und der Hypothese der alternativen Geschichten zu geben. In Feynmans Aufsummierung ist jede Geschichte eine vollständige Raumzeit mit allem, was sie enthält. Dabei kann die Raumzeit durchaus so gekrümmt sein, daß es möglich ist, mit einem Raumschiff in die Vergangenheit zu fliegen. Aber die Rakete bliebe in derselben Raumzeit und damit in derselben Geschichte, die konsistent, widerspruchsfrei zu sein hätte. Mithin scheint Feynmans Aufsummierung von Möglichkeiten für die Hypothese der konsistenten und nicht für die der alternativen Geschichten zu sprechen.
Allerdings gestattet Feynmans Aufsummierung von Möglichkeiten die Reise in die Vergangenheit auf der mikroskopischen Ebene. Im neunten Kapitel haben wir gesehen, daß die Naturgesetze bei Kombination der Operationen C, P und T unverändert bleiben. Daraus folgt, daß ein Antiteilchen, dessen Spin gegen den Uhrzeigersinn verläuft und das von A nach B reist, auch als ein gewöhnliches Teilchen verstanden werden kann, das sich im Uhrzeigersinn dreht und sich rückwärts in der Zeit von B nach A bewegt. Entsprechend ist ein gewöhnliches Teilchen, das sich in der Zeit vorwärts bewegt, gleichbedeutend mit einem Antiteilchen, das sich in der Zeit rückwärts bewegt. Wie in diesem und im siebten Kapitel dargelegt, ist «leerer» Raum mit Paaren aus virtuellen Teilchen und Antiteilchen gefüllt, die zusammen entstehen, sich trennen und wieder zusammenkommen, um sich gegenseitig zu annihilieren.
Daher kann man das Teilchenpaar auch als ein einzelnes Teilchen ansehen, das in einer geschlossenen Schleife durch die Raumzeit reist. Bewegt sich das Paar in der Zeit vorwärts (von dem Ereignis, bei dem es entsteht, zu dem Ereignis, bei dem es
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