Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
bezeichnet wird – die Aufhebung unendlicher Größen durch Einführung anderer unendlicher Größen. Obwohl dieses Verfahren mathematisch ziemlich zweifelhaft ist, scheint es sich in der Praxis zu bewähren und hat in Verbindung mit diesen Theorien zu Vorhersagen geführt, die sich mit den Beobachtungsdaten außerordentlich genau decken. Unter dem Gesichtspunkt einer Vereinheitlichung der Theorien hat die Renormierung jedoch einen schwerwiegenden Nachteil, denn die tatsächlichen Werte der Massen und Kräfte lassen sich nicht aus der Theorie vorhersagen, sondern müssen so gewählt werden, daß sie den Beobachtungsdaten entsprechen.
Bei dem Versuch, die Unschärferelation in die Allgemeine Relativitätstheorie einzugliedern, hat man nur zwei Größen, die sich anpassen lassen: die Stärke der Gravitation und den Wert der kosmologischen Konstante. Durch ihre Anpassung lassen sich jedoch nicht alle unendlichen Werte beseitigen. So hat man eine Theorie, aus der die Unendlichkeit bestimmter Größen, zum Beispiel der Raumzeitkrümmung, zu folgen scheint, obwohl die Beobachtungen und Messungen ergeben, daß sie durchaus endlich sind! Dieses Problem bei der Verbindung von Allgemeiner Relativitätstheorie und Unschärferelation wurde schon einige Zeit vermutet, bevor eingehende Berechnungen es 1972 bestätigten. Vier Jahre danach wurde eine mögliche Lösung, «Supergravitation» genannt, vorgeschlagen: Man wollte das Teilchen mit Spin 2, das Graviton, das Träger der Gravitation ist, mit bestimmten neuen Teilchen verbinden, die den Spin 3/2, 1, 1/2 und 0 haben. In gewissem Sinne könnten dann alle diese Teilchen als verschiedene Aspekte ein und desselben «Superteilchens» betrachtet werden, wodurch die Materieteilchen mit Spin 1/2 und 3/2 mit den kräftetragenden Teilchen vereinigt wären, die den Spin 0, 1 und 2 haben. Die virtuellen Teilchen-Antiteilchen-Paare mit Spin 1/2 und 3/2 besäßen negative Energie und wären bestrebt, die positive Energie der virtuellen Paare mit Spin 2, 1 und 0 aufzuheben. Dies wiederum würde zur Aufhebung vieler der möglichen Unendlichkeiten führen, doch man vermutete, daß einige noch übrigbleiben könnten. Die Berechnungen allerdings, die erforderlich waren, um herauszufinden, ob solche Unendlichkeiten bestehen bleiben oder nicht, wären so lang und schwierig gewesen, daß sich niemand fand, sie vorzunehmen. Selbst mit Hilfe eines Computers hätte man für dieses Unterfangen nach Schätzungen mindestens vier Jahre benötigt, und zudem war die Wahrscheinlichkeit groß, daß es dabei zu mindestens einem, vermutlich sogar zu mehreren Fehlern gekommen wäre. Also hätten andere den Vorgang wiederholen müssen, um zu prüfen, ob man zu dem gleichen Ergebnis käme – womit kaum zu rechnen war!
Trotz dieser Probleme und obwohl die Teilchen in den Supergravitationstheorien sich nicht mit den beobachteten Teilchen zu decken schienen, hielten die meisten Wissenschaftler die Supergravitation für den richtigen Weg zur Vereinheitlichung der Physik. Sie schien die beste Möglichkeit zur Verbindung der Gravitation mit den anderen Kräften zu sein. Doch 1984 kam es zu einem jähen Meinungsumschwung zugunsten der sogenannten Stringtheorien. Das grundlegende Objekt in diesen Theorien ist nicht das Teilchen, das nur einen einzigen Punkt im Raum einnehmen kann, sondern etwas, das eine bestimmte Länge besitzt, aber sonst keine weitere Dimension – wie ein unendlich dünnes Saitenstück, im Englischen als «string» bezeichnet.
Diese Strings können Enden haben (dann handelt es sich um sogenannte offene Strings), oder sie können sich in sich selbst zu Schleifen zusammenschließen (geschlossene Strings). Ein Teilchen nimmt in jedem gegebenen Augenblick einen Punkt des Raums ein. Deshalb läßt sich seine Geschichte als eine Linie in der Raumzeit (die «Weltlinie») darstellen. Ein String dagegen nimmt zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Linie im Raum ein. Folglich ist seine Geschichte in der Raumzeit eine zweidimensionale Fläche, die als «Weltfläche» bezeichnet wird. (Jeder Punkt auf einer solchen Weltfläche läßt sich mittels zweier Zahlen beschreiben: die eine gibt die Zeit an und die andere die Position des Punktes auf dem String.) Die Weltfläche eines offenen String ist ein Streifen: Seine Ränder repräsentieren die Wege, welche die Stringenden in der Raumzeit zurücklegen (Abb. 27). Die Weltfläche eines geschlossenen String ist ein Zylinder oder eine Röhre (Abb. 28): Ein
Weitere Kostenlose Bücher