Eine kurze Geschichte von fast allem
lange, dann wandte sich mein vernünftigeres Interesse dem wissenschaftlichen Gehalt der Zeichnung zu, und mir wurde klar, dass die Erde aus drei Schichten besteht, mit einer glühenden Kugel aus Eisen und Nickel in der Mitte, die der Bildlegende zufolge so heiß ist wie die Sonnenoberfläche. Ich weiß noch, wie ich mich mit echtem Erstaunen fragte: »Woher wissen die das?«
Dass die Information stimmte, bezweifelte ich keinen Augenblick – noch heute neige ich dazu, den Aussagen von Naturwissenschaftlern genauso zu vertrauen wie denen von Ärzten, Klempnern und anderen Besitzern abgelegener, privilegierter Kenntnisse –, aber um nichts in der Welt konnte ich mir vorstellen, wie der Geist eines Menschen herausfinden kann, was sich Tausende von Kilometern unter uns befindet, wie das aussieht und aufgebaut ist, was noch kein Auge gesehen hat und kein Röntgenstrahl durchdringen kann. Das war für mich ein echtes Wunder. Und die gleiche Einstellung zur Naturwissenschaft habe ich noch heute.
Aufgeregt nahm ich das Buch an jenem Nachmittag mit nach Hause, und vor dem Abendessen schlug ich es auf – wobei ich damit rechnete, dass meine Mutter mir die Hand auf die Stirn legen und sich erkundigen würde, ob mit mir noch alles stimmte. Auf der ersten Seite fing ich an zu lesen.
Jetzt kommt’s. Es war überhaupt nicht spannend. Es war nicht einmal verständlich. Und vor allem gab es keinerlei Antwort auf die Fragen, die eine solche Zeichnung für jeden normal denkenden Geist aufwarf: Wie kommt die Sonne in die Mitte unseres Planeten? Und wenn sie da drinnen brennt, warum ist der Boden unter unseren Füßen nicht so heiß, dass wir ihn nicht anfassen können? Und warum schmilzt das übrige Erdinnere nicht – oder schmilzt es vielleicht doch? Und wenn der Kern eines Tages ausgebrannt ist, stürzt die Erde dann in den leeren Raum, sodass an der Oberfläche ein riesiges Loch entsteht? Und woher weiß man das? Wie hat man es herausgefunden?
Was solche Einzelheiten anging, hüllte der Autor sich in ein seltsames Schweigen – er schwieg eigentlich über alles außer Antikline, Synkline, Axialbrüche und Ähnliches. Es war, als wollte er das Beste für sich behalten, indem er alles völlig unergründlich machte. Im Laufe der Jahre schöpfte ich den Verdacht, dass er damit nicht nur einem persönlichen Impuls folgte. Anscheinend gab es unter den Lehrbuchschreibern eine geheimnisvolle, allgemeine Verschwörung: Sie wollten dafür sorgen, dass ihre Themen nie auch nur entfernt in die Sphäre des mäßig Interessanten gerieten, und vom Hochinteressanten waren sie erst recht stets meilenweit entfernt.
Heute weiß ich, dass es eine angenehme Vielzahl von Wissenschaftsautoren gibt, die eine glänzende, spannende Prosa zu Papier bringen – Timothy Ferris, Richard Fortey und Tim Flannery sind drei, die mir an einer einzigen Station des Alphabets einfallen (ganz zu schweigen von dem verstorbenen, aber wahrhaft göttlichen Richard Feynman) –, aber leider schrieb keiner von ihnen ein Lehrbuch, das ich irgendwann einmal zur Hand nahm. Meine Bücher waren stets von Männern (Männer waren es immer) verfasst, die eine interessante Vorstellung hatten: Sie glaubten, alles werde klar, wenn man es in eine Formel fasst, und sie gaben sich der amüsanten Täuschung hin, amerikanische Kinder würden es zu schätzen wissen, wenn am Ende jedes Kapitels ein Abschnitt mit Fragen stand, über die sie in ihrer Freizeit grübeln konnten. Deshalb wuchs ich in der Überzeugung auf, Naturwissenschaft sei ausgesprochen langweilig; gleichzeitig hatte ich den Verdacht, dass es nicht unbedingt so sein musste, aber ich dachte eigentlich nicht darüber nach, ob ich dazu etwas beitragen könnte. Auch das sollte lange Zeit so bleiben.
Viel später – ungefähr vor vier oder fünf Jahren – starrte ich während eines langen Fluges über den Pazifik träge aus dem Fenster auf den mondbeschienenen Ozean. Plötzlich kam mir mit geradezu unangenehmer Aufdringlichkeit der Gedanke, dass ich von dem einzigen Planeten, auf dem ich jemals leben würde, eigentlich keine blasse Ahnung hatte. Ich wusste zum Beispiel nicht, warum die Meere salzig sind, die großen Seen in Nordamerika aber nicht. Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Ich wusste nicht, ob die Ozeane im Laufe der Zeit salziger oder weniger salzig werden, und ob ich mir um ihren Salzgehalt Sorgen machen sollte. (Zu meiner Freude kann ich berichten, dass auch die Wissenschaft auf diese Fragen bis Ende der
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