Eine Lady nach Maß
anhielten.
„… Sieben … acht … neun … zehn. Du hast es geschafft!“, rief Miss Richards aus. „Mach eine Minute Pause und nimm dir dann die Ringe.“
Delia taumelte auf die Veranda und ließ sich in den Schaukelstuhl fallen. Ihre Arme hingen seitlich schlaff herab und berührten fast den Boden. J.T. musste sich ein Grinsen verkneifen. Das Mädchen war völlig fertig. Miss Richards hingegen sah frisch wie ein junges Fohlen aus. Während Delia sich ausruhte, machte sie mit einer komplizierteren Übung weiter. Das einfache, blaue Kleid, durch den Regen feucht geworden, schmiegte sich eng an ihren Körper, als sie sich streckte. J.T. versuchte zu schlucken, doch sein Mund war zu trocken.
Obwohl er seinen Blick nur schwer von ihr lösen konnte, versuchte er sich, auf etwas anderes zu konzentrieren. Das Wetter.
„Ist es nicht ein bisschen ungemütlich, diese Übungen hier draußen zu machen?“ Seine Worte kamen ein wenig unfreundlicher hervor, als er das eigentlich geplant hatte. Miss Richards stieß einen erschrockenen Schrei aus, der ihn an die Situation mit der gebrochenen Treppenstufe erinnerte.
Solche Erinnerungen konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Er hatte schon jetzt genug damit zu tun, seinen Verstand von unangemessenen Gedanken zu reinigen. Da wollte er nicht auch noch an das angenehme Gefühl ihres Körpers in seinen Armen denken.
„Du liebe Zeit, J.T.! Du hast mich fast zu Tode erschreckt“, sagte Delia, die aufgesprungen war. „Was machst du hier? Du kommst sonst nie vor dem Mittagessen nach Hause.“
„Ich wollte mir selbst ein Bild davon machen, welchen geheimen Aktivitäten ihr jeden Morgen nachgeht.“ J.T. warf seiner Schwester einen schnellen Blick zu, bevor er zu Miss Richards ging. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie sich einem Zirkus anschließen wollen, Miss Richards, hätte ich P. T. Barnum telegrafieren lassen.“
„Einem Zirkus?“ Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und schwang die Keulen in seine Richtung.
J.T. ging ein paar Schritte zurück. Vielleicht hätte er sie nicht reizen sollen, solange sie bewaffnet war.
„Ich möchte, dass Sie wissen, dass die Übungen, die ich hier mache, wissenschaftlich geprüft und für wirksam befunden wurden. Dr. Dio Lewis und Simon Kehoe haben Bücher darüber veröffentlicht. Der Sport stärkt Kraft und Ausdauer.“
Diese schreckliche Frau warf einen zweifelnden Blick auf seine Brust, als hätte auch er Grund, seine Kraft und Ausdauer zu stärken. Er . Kein eingebildeter Schnösel aus New York oder sonst wo konnte es mit ihm aufnehmen, wenn es um harte Arbeit ging. Darauf konnte sich Miss Richards verlassen.
„Sie sollten also nicht etwas kritisieren, von dem Sie so gar keine Ahnung haben … Jericho.“
Er schnappte erschrocken nach Luft und kniff die Augen zusammen. Seit Jahren hatte es niemand mehr gewagt, ihn so zu nennen. Nicht, seit seine Mutter weggegangen war. Der Gürtel seines Vaters hatte dafür gesorgt, dass er sich nicht mehr beschwerte, wenn seine Mutter ihn bei diesem Namen genannt hatte. Keiner seiner Freunde hatte ihn jemals so genannt. Welcher Junge wollte schon nach einer Stadt benannt sein, die zusammengebrochen war, weil ein paar Nomaden darum herumgezogen waren? Nicht gerade ein Symbol von Tapferkeit und Stärke.
Aber sie hatte es gemocht. Doch da sie ihn aus ihrem Leben verbannt hatte, hatte er auch seinen Namen verbannt.
J.T. knirschte mit den Zähnen. Es gab nur eine Person, die es wagen würde, dieser Frau seinen Vornamen zu verraten, und die stand nun kichernd hinter ihm auf der Veranda. Entschlossen, seine Schwester erst einmal zu ignorieren, wandte er sich wieder der Frau zu, der die Kampfeslust in die Augen geschrieben stand. Das konnte J.T. nicht übersehen. Sein Stolz konnte es nicht.
Mit finsterem Blick ging er auf die Frau zu. „Mein Name ist J.T.“
„Nein“, sagte sie und hob den Zeigefinger, als enthüllte sie gerade ein großes Geheimnis. „Das sind nur Ihre Initialen. Ihr Name ist Jericho.“
J.T. beugte und streckte seine Finger, damit sie sich nicht zu Fäusten ballten. Das war nur eine Frau. Eine Schneiderin.
„Versuchen Sie etwa, mich zu ärgern?“ Seine Stimme grollte und warnte sie, dass sie auf einem schmalen Grat wandelte.
Ein unschuldiges Lächeln überzog ihr Gesicht. „Also ... ja. Ja, das tue ich. Funktioniert es denn?“
Kapitel 17
H annah musste darum kämpfen, ihren Gesichtsausdruck möglichst gleichgültig beizubehalten. Der
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