Eine Lady nach Maß
durch die Nähmaschine geführt hatten.
J.T. stampfte fest auf, um den Dreck von seinen Stiefeln zu klopfen, bevor er in sein Büro ging. Wenn man nach ihrem Beruf urteilte, hätte Miss Richards eine eingebildete, oberflächliche Frau sein müssen, was wiederum dazu geführt hätte, dass er sie problemlos verabscheuen könnte. Doch leider war sie alles andere als das. Sie arbeitete hart und war mitfühlend. Er wusste nicht, was er damit anfangen sollte. Vor allem, da sie allen Ernstes daran interessiert schien, ihr Geschäft auf die Beine zu stellen. Eine Frau mit echtem, tiefem Glauben würde andere niemals wissentlich der Versuchung aussetzen. Zu was machte sie das also? Zu einer Sünderin oder einer Heiligen?
Ein Schatten fiel auf seinen Schreibtisch. „Guten Morgen, J.T.“
Tom winkte, für diese frühe Uhrzeit viel zu fröhlich. Und sein strahlendes Grinsen ließ J.T. mit den Zähnen knirschen.
„Ich habe Miss Richards und Cordelia gesehen, wie sie wieder mit diesen lustigen Geräten geübt haben. Meinst du, Miss Richards lässt sie mich auch mal ausprobieren, wenn ich sie frage?“
J.T. fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. „Ich weiß nicht, Tom. Ich rede nicht viel mit Miss Richards.“
„Warum nicht? Sie ist nett.“
J.T. unterdrückte ein Grummeln, stand auf und klopfte Tom auf die Schulter, als er an ihm vorbeiging. Er musste dem einfachen Weltbild des Jungen entkommen. Für Tom war etwas entweder Spaß oder Arbeit. Die Menschen waren für ihn nett oder böse. Er sah nicht tiefer, machte sich keine Gedanken über Motive und Hintergründe.
Ein fröhliches Funkeln trat in Toms Augen. „Hatten wir uns nicht vorgenommen, ein wenig auf sie Acht zu geben, weil sie noch keinen Mann hat? Ist das nicht ein bisschen schwierig, wenn du nicht mit ihr redest?“
J.T. zog seinen Hut über die Augen, als er zur Tür ging und wünschte sich, er könnte die Worte des Jungen ignorieren. „Miss Richards kann auf sich selbst aufpassen. Sie kommt ganz gut ohne uns zurecht. Sie ist tüchtig.“ Und gutherzig. Und feurig. Und wunderschön – und eine Schneiderin. Warum musste sie Schneiderin sein? J.T. steckte sich einen Zahnstocher in den Mund und kaute darauf herum, bis sein Kiefer schmerzte.
„Mach dir keine Sorgen um sie, Junge. Ich behalte sie im Auge, auch wenn ich nicht immer mit ihr rede. Sie kommt gut zurecht.“
Kam sie das wirklich? Alles, was er wusste, war, dass sie jeden Tag ihr Geschäft aufsperrte. Und dass sie mit Delia spazieren ging. Doch was genau hatte es mit diesen Geräten auf sich, von denen Tom geredet hatte? Vielleicht war es an der Zeit, den Kontakt mit Miss Richards wieder aufzunehmen. Immerhin konnte man etwas nur verstehen, wenn man es studierte, und diese Frau wollte er unbedingt verstehen.
„Die Pferde sind im Pferch“, rief er Tom zu, als er über die Straße ging. „Fang an, die Ställe auszumisten. Ich bin gleich wieder da.“ Er ging um die Ecke und steuerte auf sein Haus zu.
J.T. fand Miss Richards zusammen mit seiner Schwester unter der großen Eiche hinter dem Haus. Der leichte Niederschlag klebte die Haare der Frauen an ihre Köpfe, doch sie schienen sich nicht darum zu kümmern. Ihre Wangen waren rosig vom Aufenthalt an der frischen Luft. Sie sahen frisch und gesund aus. Widerwillig musste er zugeben, dass er Delia seit ihrer Schulzeit nicht mehr so ausgelassen gesehen hatte.
„Du machst das großartig, Cordelia. Noch zehn Mal. Du schaffst das.“
Miss Richards hielt dicke Keulen in der Hand. Dann hob sie den rechten Arm und streckte die Keule senkrecht in die Luft. Den linken streckte sie waagerecht von sich. Nachdem sie diese Position kurz gehalten hatte, wechselte sie die Seiten. Ihre Arme waren gestreckt und schienen keine Mühe zu haben, die Keulen zu halten. Delias Arme waren in den Ellbogen ein bisschen gebogen und ihr Atem ging schwer. Doch seine Schwester gab nicht auf. Obwohl die beiden Frauen ein bisschen lächerlich aussahen, erfüllte J.T. ein gewisser Stolz.
„Gut. Jetzt lass die Keulen sinken und schwing die Arme hin und her.“
Delia seufzte. „Meine Arme brennen aber.“
Miss Richards ließ sich nicht verunsichern. „Das ist gut. Dann arbeiten deine Muskeln. Wir machen das noch zehn Mal und legen dann eine kleine Pause ein.“
„Gut.“
Jetzt streckten die Frauen ihre Arme nicht mehr zur Seite und nach oben, sondern zur Seite und nach vorne. Dann begannen wieder die Seitenwechsel. Sie sahen aus wie Eisenbahner, die einen Zug
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