Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
Mutter sie gezeichnet oder gemalt hatte. Sie wollte ihre Nostalgie über Alessandra stillen und durch ihre Kunst möglicherweise mehr über sie erfahren.
»Was hast du denn da?«, fragte Marian, die das Zimmer mit frischen Bettlaken über dem Arm betrat. Celia hatte zwar nicht stark geblutet letzte Nacht, aber doch ein wenig.
»Die Zeichnungen und Aquarelle meiner Mutter.« Sie legte die Mappe auf den Sekretär neben dem Fenster und schlug sie auf. »Die hat sie im Laufe der Zeit alle angefertigt.«
Marian warf einen Blick über Celias Schulter. »Das hier könnte im Schaufenster eines Ladens hängen.«
»Sie war sehr talentiert.« Celia wurde klar, dass das fragliche Aquarell den Garten dieses Hauses im Spätsommer zeigte. Mama musste auf der kleinen Terrasse gesessen haben, als sie es gemalt hatte.
»Wenn ich so gut malen könnte, würde ich versuchen, ein paar Bilder zu verkaufen«, sagte Marian.
»Vielleicht hat sie das ja. Es gibt so viel, das ich nicht von ihr weiß.« Sie drehte die Blätter um, eines nach dem anderen, und bewunderte gemeinsam mit Marian die kleinen Landschaften und Skizzen.
»Das sind ja eine ganze Menge«, bemerkte Marian. »Ich lasse dich mal wieder allein, damit du sie dir anschauen kannst. Ich nehme Bella gleich zu den Läden mit und lasse sie das Einkaufen übernehmen. Sie muss endlich lernen, ihre Schüchternheit zu überwinden.«
Marian ging, und Celia bewunderte die Bilder ihrer Mutter weiter. Die Aquarelle wurden von Zeichnungen abgelöst, die meisten davon Landschaften, aber auch einige schnelle Skizzen von Personen. Fast auf dem Boden des Stapels erblickte sie aber plötzlich ein Bild ganz anderer Art.
Es war ein sorgfältig mit Bleistift gezeichnetes und danach koloriertes Wappen. Auf dem nächsten Blatt war ein ganz ähnliches Motiv zu sehen, aber ohne die Farben. Neugierig blätterte sie die restlichen Zeichnungen durch. Auf allen waren Wappen zu sehen, von denen sie einige auch erkannte. Zehn von ihnen waren koloriert.
Sie drehte ein Blatt nach dem anderen um. Bei der ersten Zeichnung entdeckte sie, dass sich auf der Rückseite eine Reihe von Zahlen befand. Sie sah bei den anderen nach und entdeckte diese Ziffern auf allen Blättern. Auf einigen waren nur ein paar davon, auf anderen lange Zahlenkolonnen zu sehen. Auf den Rückseiten der kolorierten Zeichnungen befanden sich jedoch nur zwei Zahlen, eine am oberen und eine am unteren Rand.
Stirnrunzelnd betrachtete sie die jeweils sechsstelligen Nummern. Dann wurde ihr plötzlich klar, was sie bedeuteten.
Die Entdeckung bestürzte sie. Immer wieder ging sie die Zeichnungen durch, bis Marian rief, dass die neue Lieferung eingetroffen sei.
»Kommt mit. Ich muss euch etwas zeigen«, sagte Celia, nachdem die Pflanzen hereingebracht und verstaut worden waren. Sie führte Daphne die Treppe hinauf. Verity und Audrianna, die heute ebenfalls vorbeigekommen waren, um Daphne zu sehen, folgten ihnen.
»Was für ein hübsches Zimmer«, bemerkte Verity nach dem Eintreten. »Es ist so erfrischend in seiner Schlichtheit.«
»Könnt ihr euch vorstellen, dass meine Mutter es selbst eingerichtet hat?«, fragte Celia. »Es ist so vollkommen anders als das Haus, in dem sie die meiste Zeit gelebt hat.«
»Vielleicht hat es sie an ihre Kindheit erinnert«, überlegte Daphne, während sie die Musselinvorhänge befühlte. »Wenn ja, kam sie bestimmt vom Land.«
Die Bemerkung ließ Celia zusammenzucken. Wie typisch für Daphne, aus dem Haus Rückschlüsse zu ziehen, die ihr selbst verborgen geblieben waren. Ihre Mutter war für sie immer noch die Venus, weil sie Alessandra nicht anders gekannt hatte. Aber Daphne hatte wahrscheinlich recht, und dieses Haus repräsentierte die wahre Alessandra, die im Inneren dieser berühmt-berüchtigten Frau gelebt hatte. Die Frau, die ihre Tochter gar nicht kennengelernt hatte.
Sie versammelte ihre Freundinnen um den Sekretär und öffnete die große Zeichenmappe. Die meisten Aquarelle und Zeichnungen lagen inzwischen auf ihrem Bett und nur die Wappenbilder befanden sich noch darin. »Seht mal, was ich gefunden habe. Hier, auf den Rückseiten. Ich bin sicher, dass jede dieser Zahlen für ein bestimmtes Datum steht.«
Sie steckten ihre Köpfe zusammen und blätterten ein paar durch.
»Ist es eine Art Buchführung?«, fragte Audrianna erstaunt. »Oder so etwas wie ein Tagebuch? Was denkt ihr?« Sie blätterte hin und her. »Dieser Lord, in diesen Nächten? Meine Güte, ich kenne ein paar dieser Wappen.
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