Eine Lady zu gewinnen ...
erröten. »Ihre Enkelin ist nicht die Einzige, die Schlaf braucht, wie mir scheint.«
Es überraschte sie, als er antwortete: »In Ordnung. Wir bleiben über Nacht. Aber wenn er bis morgen früh nicht zurückgekommen ist …«
»Das sehen wir, wenn es so weit ist«, sagte Mrs Plumtree bestimmt. Sie blickte zu Lord Jarret hinüber.
Er nickte. »Ich finde ihn, Miss Waverly. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Danke schön«, murmelte sie mit einem Kloß im Hals. Sie waren so freundlich. Lord Jarret war gerade erst von einer anstrengenden Reise zurückgekehrt. So spät noch nach seinem Bruder zu suchen war wahrscheinlich das Letzte, was er jetzt wollte.
Während sich Lord Jarret bereit zum Aufbruch machte, führte Mrs Plumtree sie durch die große Halle. »Halstead Hall verfügt über einen eigenen Trakt mit Gemächern für Besucher«, sagte sie. »Sie wurden im siebzehnten Jahrhundert eingerichtet, um einen ausländischen Prinzen und seine Frau zu beherbergen.«
Virginia hörte ihr kaum zu. In ihrem Kopf klangen Gabriels Abschiedsworte.
Sagen Sie Devonmont, er soll gut auf sie aufpassen.
Hatte er tatsächlich vor, sie aufzugeben, nach allem, was sie einander gesagt hatten, nach allem, was sie einander bedeuteten? Wie konnte er das nur tun?
In einem Nebel von Schmerz betrat sie die prunkvolle Zimmerflucht, die aus zwei Schlafzimmern und einem Wohnzimmer bestand, das so groß war wie der Speisesaal von Waverly Farm. Mrs Plumtree kommandierte die Diener herum, ließ rasch Feuer in den Kaminen anzünden und die schützenden weißen Laken von den Möbeln entfernen, sodass Virginia und Poppy schon nach kurzer Zeit wieder sich selbst überlassen blieben.
Als sie keine Anstalten machte, ins Bett zu gehen, kam Poppy mit besorgtem Gesichtsausdruck auf sie zu. »Geh schlafen, Lämmchen. Ich bin sicher, der Schuft kommt bald zurück.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht schlafen, solange ich nicht weiß, dass er in Sicherheit ist.«
»Du musst dir um ihn keine Sorgen machen«, sagte Poppy mit einem scharfen Unterton. »Und vielleicht hat das alles ja auch sein Gutes. Jetzt kannst du noch einmal überlegen, ob es nicht doch besser wäre, Pierce …«
»Ich werde Piece nicht heiraten«, rief sie, am Ende ihrer Kräfte. »Ich liebe Gabriel!«
Poppy kniff die Augen zusammen. »Du liebst ihn? Du kennst ihn doch kaum. Du bist doch nicht so töricht, dass du glaubst, eine Ehe ließe sich auf Küssen und Schmeicheleien und Koseworten aufbauen.«
»Ist es töricht, sich zu wünschen, einmal in seinem Leben wie eine begehrenswerte Frau behandelt zu werden und nicht wie ein Rädchen im Getriebe der Farm?«, brach es aus ihr heraus. Als Poppy sie schuldbewusst ansah, seufzte sie. »Verstehst du das nicht? Gabriel sieht mich ganz – nicht nur die tüchtige, praktische Virginia. Er sieht die Frau, die hübsch gefunden werden möchte, die sich Blumen wünscht, die tanzen möchte, die auch andere Gefühle kennt als bloß Erleichterung, weil das Füllen, das durchgegangen ist, nicht die Kohlköpfe zertrampelt hat.« Ihre Stimme wurde leiser. »Wenigstens tat er das, bis ich ihn dazu gezwungen habe, über die Vergangenheit zu sprechen. Jetzt ist das Einzige, was er sieht, seine vermeintliche Schuld, und er glaubt, dass auch ich nichts anderes sehe.«
War er gerade jetzt irgendwo dort draußen und suchte nach irgendeiner neuen Herausforderung, um den Schmerz in seiner Seele zu betäuben? Suchte er nach einem neuen Rennen in seinem ewigen Duell mit dem Tod?
Ich betrüge den Tod. Das ist mein Trick.
Und plötzlich begriff sie.
Er hatte es im Scherz gesagt, aber es war bitterer Ernst gewesen. Es erklärte alles: die Rennen, seine Waghalsigkeit und die Momente, in denen er sich in sich selbst zurückzog und zu jener kalten, furchterregenden Person wurde, die ihr wie der wahrhaftige Todesengel erschien.
Sie betete, dass sie eine Chance bekommen würde, um ihn begreifen zu lassen. Denn wenn er es nicht begriff, würden sie niemals heiraten können. Und dieser Gedanke war ihr unerträglich.
20
Ich … muss … Roger … schlagen.
In monotonem Rhythmus wiederholten sich die Worte in Gabriels Traum. Auch das Bild von Roger, wie er mit gebrochenem Genick dalag, während Lyons auf sie zugerannt kam und Gabe versuchte, sein Gespann zu zügeln, stieg wieder vor ihm auf.
Düster stürzte Gabe sein Bier hinunter. Er musste dieses Bild aus dem Kopf bekommen. Er musste zu jenem gnädigen Zustand vollkommener Empfindungslosigkeit
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