Eine Lady zu gewinnen ...
sich nach ihr umdrehte, sah sie eine Frau, die nicht weit entfernt bei seiner Familie stand. Es war Lady Minerva, seine Schwester, die vor Kurzem geheiratet hatte und an jenem Tag, an dem Virginia Gabriel herausgefordert hatte, mit ihm zusammen beim Rennen gewesen war. Wie hieß sie jetzt noch einmal? Ach ja, genau, Mrs Giles Masters.
»Viel Glück, Miss Waverly«, rief Mrs Masters ihr zu. »Wenn Sie meinen Bruder schlagen, schenke ich Ihnen eine Gesamtausgabe meiner Romane.«
»Danke, dass du ihr einen Grund gibst, zu verlieren«, sagte Gabriel gut gelaunt. Es machte ihm offensichtlich nicht das Geringste aus, dass seine Schwester für seine Kontrahentin Partei ergriff.
»Vorsicht, kleiner Bruder«, gab seine Schwester zurück, »oder du landest in einem meiner Bücher. Frag doch mal Oliver, wie ihm das gefällt.«
»Na, dann hättest du endlich mal einen Helden, der seinen Namen verdient«, gab Gabriel munter zurück.
»Wie kommst du darauf, dass ich dich zum Helden machen würde?«, sagte Mrs Masters mit frech blitzenden Augen.
Virginia beobachtete neidvoll ihre geschwisterlichen Neckereien. Sie hatte vergessen, wie gut es sich anfühlte, einen Bruder zu haben. Natürlich war Pierce ein guter Freund, aber es war nicht dasselbe. Einen Bruder zu haben, war mit nichts zu vergleichen. Einen Menschen zu haben, mit dem man durch Blutsbande verbunden war und der einen besser verstand als jeder andere auf der Welt.
Es war Gabriel gewesen, rief sie sich in Erinnerung, der ihr dieses Gefühl geraubt hatte, und sie würde ihn dafür bezahlen lassen.
Der Herzog von Lyons kam heran und stellte sich vor ihren Gespannen auf. Gabriel erklärte, dass Lyons nicht nur Mitglied des Jockey Clubs, sondern auch des alten Four-in-Hand-Clubs sei. Er sei also genau der Richtige, um die Regeln des Rennens bekannt zu geben. Die übrigen Mitglieder des Jockey Clubs würden als Rennrichter fungieren, wenn sie einverstanden sei.
Natürlich war sie einverstanden. Wenn diese Männer auch Gabriels Freunde waren, so waren sie doch auch Gentlemen, deren eiserner Ehrenkodex geradezu sprichwörtlich war. Sie würden niemals ein unfaires Urteil fällen.
»Erste Regel«, sagte der Herzog. »Wenn ein Fahrer versucht, die gegnerische Kutsche von der Strecke abzudrängen, wird er zum Verlierer erklärt.«
Als ob sie jemals etwas Derartiges tun würde. Sie war keiner dieser verantwortungslosen Lords, die das Leben und die Gesundheit eines anderen Menschen aufs Spiel setzten, nur um zu gewinnen.
»Zweite Regel. Die Fahrer müssen barhäuptig sein. Wir wollen nicht riskieren, dass die Pferde durch davonfliegende Hüte oder Hauben erschreckt werden.«
Während Gabriel seinen Hut einem seiner Brüder zuwarf, nahm sie ihre Haube ab. Diese Regel konnte ihr nur recht sein: Sie liebte es, den Wind in den Haaren zu spüren.
»Dritte Regel. Wenn ein Fahrer die Pferde des Gegners peitscht, wird er zum Verlierer erklärt.«
Gab es tatsächlich Leute, die so etwas machten? Gütiger Himmel, wie konnte man nur so unfair sein.
»Vierte Regel. Wenn ein Fahrer vom Kutschbock fällt, wird er zum Verlierer erklärt. Wenn eine Kutsche ein Rad verliert, wird der Fahrer zum Verlierer des Rennens erklärt. Wessen Pferde einen Zusammenstoß verursachen …«
»… der wird zum Verlierer erklärt«, unterbrach Gabriel den Herzog ungeduldig. »Komm endlich zum Schluss, Lyons.«
Der Herzog warf ihm ein mildes Lächeln zu. »Sehr gut. Der Starter des Jockey Clubs wird mit einer Flagge das Startsignal geben.« Er blickte zu Virginia herüber. »Sind Sie bereit, Madam?«
»Natürlich.«
Ihr fiel auf, dass er die Frage nur ihr stellte und nicht Gabriel. Dieser hatte in den letzten Augenblicken eine beängstigende Veränderung durchgemacht. Er sah jetzt seltsam distanziert, angespannt und kalt aus. Wie der leibhaftige Todesengel.
Schaudernd wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Rennstrecke zu.
Der Herzog gab dem Starter ein Zeichen, woraufhin dieser an den Rand der Rennstrecke trat und seine Flagge hob. »Achtung!«, rief der Starter.
Virginia umfasste die Zügel fester.
Der Starter senkte die Flagge, und ihre Gespanne schossen vorwärts.
Die Rennstrecke war zwei Meilen lang, eine gute Trainingsstrecke für ein einzelnes Gespann, aber nach einigen Hundert Metern ebenen Geländes führte sie halb um eine Hügelkuppe herum, um dann in eine etwa zweihundert Meter lange Zielgerade einzumünden. Die Umfahrung des Hügels war der heikle Teil. Als Herausforderin hatte
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