Eine Lady zu gewinnen ...
Gefiel er ihr genug, um zu riskieren, eines Tages zusehen zu müssen, wie er sich bei einem Rennen das Genick brach? Gefiel er ihr genug, um ihm Rogers Tod zu verzeihen?
Sie wusste es einfach nicht.
Als das Dessert aufgetragen wurde, lehnte Hetty ab. Süßigkeiten reizten seit einiger Zeit ihre Galle, und das Letzte, was sie im Moment gebrauchen konnte, war eine Gallenkolik. Besonders, da sie Gäste hatten.
Die anderen ließen sich das Orangen-Trifle schmecken, das sie und Maria ausgewählt hatten. Das Dinner war ein Erfolg. Auf jeden Fall schien Miss Waverly jetzt deutlich weniger wütend auf Gabe zu sein.
Unterdessen hatte sich Gabriel wieder in den ausgelassenen, Witze reißenden, draufgängerischen Gabe verwandelt, der nichts an sich heranließ. Das war seine Art, sich zu verstecken, und sich zu verstecken schadete ihm genauso, wie es seinen Brüdern geschadet hatte.
Seit ihre Eltern gestorben waren, hatte Oliver seine Gefühle so rücksichtslos unterdrückt, dass er ein emotionales Wrack gewesen war, als sie durch die Begegnung mit Maria schließlich zum Ausbruch gekommen waren.
Jarret hatte seine Gefühle beiseitegeschoben, mit der Begründung, dass sie seinen Zwecken nicht dienlich waren, und hatte sich in eine kalt analysierende Kreatur verwandelt, der nichts und niemand wirklich etwas bedeutete. Glücklicherweise hatte er schließlich eine Frau getroffen, bei der er sich sicher genug fühlte, um jenen Teil seiner Persönlichkeit wiederzuentdecken, für den andere Menschen sehr wohl von Bedeutung waren.
Gabe hingegen versuchte, gegen seine Gefühle anzukämpfen. Er unterdrückte sie nicht und schob sie nicht beiseite. Seine Eltern waren tot? Gut, dann forderte er eben den Tod heraus, ihn auch zu nehmen. Er spottete über seine eigenen Qualen, lachte der Gefahr ins Gesicht und fragte niemals nach dem Preis seiner Handlungen. Er würde den Tod verprügeln, bis der Tod sich ihm unterwarf.
Es war einfach nur eine andere Art, dem Schmerz auszuweichen und die Wunde zu schützen, damit sie heilen konnte. Doch Rogers Tod hatte alles nur noch schlimmer gemacht und den Schmerz, der unter der Narbe schwärte, wieder zum Ausbruch gebracht.
Der junge Narr dachte, er könnte den Schmerz überspielen, indem er Miss Waverly heiratete. In seiner typischen verwegenen Art war er auf sein Ziel losgestürmt, mit all der Energie, mit der er jede Herausforderung und jede Eroberung anging. Und er hatte es geschafft, ziemlich weit bei ihr zu kommen, bis ihr verdammter Cousin sich eingemischt hatte.
Aber Hetty machte sich keine Sorgen wegen Lord Devonmont. Es war offensichtlich, dass Miss Waverly Gabe den Vorzug gab, Gott sei Dank. Was Hetty Sorgen machte, war, dass es ihr ein Rätsel blieb, was Gabe für Miss Waverly empfand.
Und wenn sie es nicht wusste, wie sollte es dann Miss Waverly wissen? Junge Damen wussten gern, woran sie bei einem Mann waren. Besonders wenn ein anderer Freier schon mit den Hufen scharrte.
Maria erhob sich vom Tisch. »Meine Damen, sollen wir unser Gespräch nicht im Salon fortsetzen und die Gentlemen mit ihrem Portwein und ihren Zigarren allein lassen?«
»Natürlich«, sagte Hetty, der es gefiel, wie schnell Maria die Umgangsformen der guten englischen Gesellschaft angenommen hatte. Das Mädchen mochte eine Amerikanerin sein, aber sie war willens gewesen, zu lernen, und Hetty war mit Vergnügen in die Rolle der Lehrerin geschlüpft.
Die Damen erhoben sich, froh, die Männer sich selbst überlassen zu können, um ihrerseits ungestört über Babys und Kindermädchen und Mode und all die anderen Dinge, die Männer langweilten, plaudern zu können. Da nun zwei der Ehefrauen ihrer Enkel guter Hoffnung waren, freute sich Hetty darauf, an solchen Gesprächen teilzunehmen. Sie hatte lange auf Großenkel gewartet. Da ihr das Gehen schwerfiel, war sie wie immer die Letzte, die das Zimmer verließ, bis auf den General, der ihr den Vortritt ließ.
»Darf ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen, Mrs Plumtree?«
Die anderen hielten inne, doch sie gab ihnen ein Zeichen weiterzugehen.
Sobald sie alleine waren, sah sie ihn erwartungsvoll an. Mit einem Blick auf die offene Tür zum Speisesaal nahm er ihren Arm und führte sie den Korridor hinunter zur Bibliothek.
»Worum geht es?«, fragte sie, nachdem sie die Bibliothek betreten hatten.
»Ich gratuliere Ihnen, Madam«, sagte der General wütend. »Das haben Sie sehr schlau eingefädelt.«
Sie war sich nicht ganz sicher, worauf er anspielte.
Weitere Kostenlose Bücher