Eine lange dunkle Nacht
hatten sie sich mindestens jeden zweiten Tag getroffen. Rene besuchte eine andere Schule, obwohl sie nur zwei Meilen entfernt wohnte. Teresa konnte ihre beste Freundin bequem zu Fuß erreichen.
Der Tiefgang ihrer Gespräche ließ jedoch zu wünschen übrig, selbst als sie sich noch regelmäßig gesehen hatten. Dies lag daran, daß sie nicht viel gemeinsam hatten – bis auf die Tatsache, daß sie beide schüchtern waren. Rene verstand nichts von Musik, Teresa nichts von Pferden – Renes großer Leidenschaft. Rene lernte nie und war dementsprechend schlecht in der Schule, während Teresa in allen Fächern ausgezeichnet war, weil sie einen Großteil ihrer Freizeit mit Lernen verbrachte. Es war so, als wären sie beste Freundinnen geworden, weil niemand sonst mit ihnen befreundet sein wollte; auch das war seltsam.
Rene war ein wunderschönes Mädchen. Ihre langen schwarzen Haare glänzten wie ein winterlicher Nachthimmel. Ihr feingeschnittenes Gesicht war blaß, aber nicht kränklich. Sie sah eher aus wie eine Prinzessin, die seit Jahren in einem Turmverlies auf ihren Prinzen wartet. Dies war in der Tat der Grund, weshalb Rene noch nie einen Freund gehabt hatte. Sie war sehr wählerisch; wenn es sein mußte, würde sie ihr ganzes Leben warten. Möglicherweise waren sie nur Freundinnen geworden, um gemeinsam zu warten.
Aber Teresa war schließlich aus ihrem Turm ausgebrochen und hatte das Warten beendet. Eine Woche vor ihrem Auftritt rief sie Rene an. Natürlich wußte Rene von Bill, Teresa hatte ihn ihr ausführlich beschrieben, doch die beiden hatten einander bislang nicht kennengelernt. Rene reagierte auf Teresas musikalische Neuigkeit mit verhaltenem Enthusiasmus, und Teresa konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß Rene eifersüchtig war. Allerdings gab es darauf keinen wirklichen Hinweis; vielleicht war es nur Einbildung.
Rene wollte zum Konzert kommen, und Teresa hatte nichts dagegen. Je mehr Teresa übte, und je öfter sie mit Mr. Gracione sprach, desto zuversichtlicher wurde sie. Allmählich wurde ihr bewußt, wieviel Talent sie hatte. Sie konnte Lieder schreiben, die den Leuten etwas bedeuteten, und sie hatte eine Stimme, welche die Leute zutiefst berührte. Selbst ihre Mutter – Wunder gibt es immer wieder – platzte eines Abends fassungslos in ihr Zimmer. Teresa hatte ganz leise gesungen, doch anscheinend hatte ihre Mutter vor der Tür gestanden und gelauscht. Sie machte ihr das schönste Kompliment, dessen sie fähig war, indem sie sagte: »Ich kann es nicht glauben. Warst du das gerade, die gesungen hat?«
Ihre Eltern kündigten an, ins Summit zu kommen, sobald Teresa etwas mehr Erfahrung hatte. Im Laufe der nächsten Tage fiel ihr auf, daß ein Hauch von Stolz in den Stimmen ihrer Eltern mitschwang, wenn sie über Teresas neuen Job sprachen. Offenbar lebten die beiden doch nicht völlig hinterm Mond.
Schließlich kam der Abend der Abende. Teresa zog sich in aller Ruhe an, beziehungsweise probierte alle Klamotten in ihrem Schrank aus und entschied, daß nichts richtig toll aussah. Glücklicherweise war Rene da. Sie hatten dieselbe Kleidergröße, und so fuhren sie kurzentschlossen zu Rene hinüber, um doch noch etwas Passendes zu finden.
Sie hatten vor, gemeinsam in den Club zu fahren; Bill war bereits dort und überprüfte die Soundanlage. Teresa hatte keinen Tonabnehmer in ihrer akustischen Gitarre, und das davorgestellte Mikrofon begann immer im falschen Moment zu pfeifen. Mr. Gracione hatte ihr versprochen, ein anderes zu besorgen, und Bill war so früh hingegangen, um sich darum zu kümmern.
»Mein rotes Kleid würde im Scheinwerferlicht bestimmt super aussehen«, schlug Rene vor, sobald sie in ihrem schwarzen Miata saßen.
»Ich werde auf einem Hocker sitzen«, entgegnete Teresa, die viel zu nervös war, um selbst zu fahren. »Ich tendiere eher zu Hosen.«
»Wie wär's mit meinem grünen Anzug?« fragte Rene. »Kennst du den?«
»Ja, aber ich weiß nicht. Grün ist eine Naturfarbe, und wir werden in einem Nachtclub sein. Ich glaube, ich sollte Schwarz tragen.«
»Schwarz ist so nüchtern.«
Teresa nickte. »Du hast recht. Wie wär's mit Weiß?«
»Ich habe nichts Weißes. Du bist diejenige mit dem weißen Hosenanzug.«
»Ich? Wo ist er?«
»In deinem Schrank«, sagte Rene.
»Ach ja. Hab' ich ihn anprobiert?«
»Nein.«
»Ich will ihn antesten«, sagte Teresa.
»Also willst du zurück nach Hause?«
»Ja. Schnell, beeil dich. Ich muß in zwei Stunden auf der Bühne
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