Eine lange dunkle Nacht
mach dir keine Sorgen, Kleine. Du wirst sie umhauen.«
»Entweder so, oder die Leute werden mich umhauen«, murmelte sie und ging in ihre Garderobe, wo sie versuchte, sich ein wenig zu beruhigen. Von draußen hörte sie die Menschenmenge, die auf den nächsten Auftritt wartete. Ihre Gitarre lag vor ihr auf einem Stuhl. Beim Stimmen riß sie sich einen Fingernagel so tief ein, daß es zu bluten begann. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie senkte den Kopf. Vor lauter Angst konnte sie kaum atmen.
So werde ich es nie schaffen.
Plötzlich spürte sie, wie kräftige Hände ihre verspannten Nackenmuskeln zu massieren begannen. Sie mußte sich nicht umdrehen; sie kannte Bills Berührung. Sie ließ ihn gewähren und fühlte, wie die Spannung von ihr wich. Schließlich nahm er ihr Kinn in die Hand und hob ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen. Er lächelte, und sie. weinte, und das machte sie wütend. Ihr Zorn mußte auf ihrem Gesicht zu erkennen gewesen sein, denn sein Lächeln wurde breiter.
»Es ist echt lustig hier«, sagte er.
»Du solltest mal derjenige sein, der da gleich raus muß.«
Sie hielt ihm ihren blutenden Finger entgegen. »Sieh mich an. Ich kann nicht spielen. Ich kann nicht einmal meine blöde Gitarre stimmen.« Erneut schossen ihr Tränen in die Augen. »Ich schaff's nicht, Bill.«
Er setzte sich neben sie, legte ihr den Arm um die Schultern und küßte sie auf die Wange. »Du schaffst alles, was du willst, Teresa. Und weißt du, warum?« Sie schniefte. »Warum?«
»Weil ich dich liebe.«
Das hatte er ihr noch nie gesagt. Eine warme Welle durchflutete sie. Sie wünschte, sie hätte mehr Zeit, dieses Gefühl zu genießen. »Aber wie hilft mir deine Liebe beim Singen?« fragte sie.
»Alles, worüber du singst, ist Liebe. Und jetzt singst du sogar aus eigener Erfahrung.«
Der Anflug eines Lächelns zuckte über ihre Lippen. »Wie kommst du darauf, daß ich dich liebe, Kumpel?«
»All deine Lieder handeln von mir«, sagte er.
»Die meisten hatte ich schon geschrieben, bevor ich dich kennengelernt habe!«
Er küßte sie noch einmal. »Und wenn schon. Sie waren trotzdem über mich.«
Beinahe hätte sie ihm gesagt, fast alle ihre Lieder handelten von verlorener Liebe. Doch sie schwieg, weil sie ihn lieber festhalten und ihm erzählen wollte, daß er wohl recht hatte – und daß auch sie ihn liebte.
Mr. Gracione kündigte sie an, und sie trat hinaus ins gleißende Scheinwerferlicht. Es war so grell, und sie fühlte sich wie im Glanz eines funkelnden Sterns. Sie nahm an, daß genau dies der Grund war, weshalb so viele Leute berühmt werden wollten – um die Blicke ihrer Mitmenschen auf sich zu ziehen. Sie ihrerseits, geblendet, nahezu blind, konnte vom Publikum nur schemenhafte Umrisse erkennen. Aber sie hörte die Begrüßungsrufe und hier und da ein erstauntes Raunen. Letzteres aufgrund ihres Alters, nahm sie an. Sie setzte sich auf den Barhocker und plazierte ihre Gitarre auf dem Schoß.
»Danke schön«, sagte sie. »Dies ist das erste Mal, daß ich vor Publikum singe. Mein erstes Lied ist für Bill. Es heißt ›Until Then‹.«
Sie schloß die Augen.
Es stimmte – sie machte beim Singen immer die Augen zu.
»Fill the sails and fill the space,
That lingers in your night,
Hear the songs the echo sings,
And sec the stars take flight.
When the night decides to show the day,
We'll sail away,
Far away, Untill then.
Take me back to nowhere and lay me by your side.
And talk of things that you've seen in your dreams.
A laughing wind, a sunlit smile, a broken sky to mend.
A distant shore,
Till there's no more.
No message left to send.
When the night decides to show the day,
We'll sail away,
Far away, Untill then.«
Teresa ließ den letzten Ton ausklingen und öffnete ihre Augen. Sie sah nichts außer grellem Licht, hörte nichts außer lähmender Stille. Stille kann etwas sehr Schönes sein, wenn man auf Applaus wartet. Denn je länger die Stille nach einem Lied andauert, desto stärker der Applaus – zumindest war es meistens so. Auch dieses Mal. Als das Klatschen begann, brach es über sie herein wie eine gigantische Flutwelle. Es dauerte eine geschlagene Minute, dann kam das ekstatische Jubelgeschrei. Was anderes hätte sie tun können, außer zu lachen? Sie hörte ihr Gekichere aus den Lautsprechern; es klang so jung, daß sie noch heftiger lachen mußte. Es war der schönste Augenblick in ihrem Leben – und derer hatte es in letzter Zeit einige
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