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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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einzige Mann, mit dem sie je zusammengewesen war. Und er war mit Sicherheit kein leicht zu ersetzender Typ. Er war aufbrausend, er war arrogant, er war taktlos. Aber niemand hatte ein größeres Herz als John. Er hatte Candy vergöttert und hätte alles für sie getan. Es gibt vieles, das Free dir nicht erzählt hat. Beispielsweise der Abend, als John sie zum Highschoolball ausführte. Er mietete keine Limousine, trug keinen Tuxedo und hatte auch keinen Blumenstrauß dabei, als er sie abholte. Statt dessen besorgte er einen Zementtruck und lieh sich ein Clownskostüm. Aus Silberpapier bastelte er Candy eine Krone und sprühte sie goldfarben an, so daß Candy schon Ballkönigin war, als sie in den Saal kam. Klingt vielleicht peinlich, aber Candy fand's toll. Die beiden standen den ganzen Abend im Mittelpunkt.
    Aber John war derjenige, der verhinderte, daß sie wieder zusammenkamen. Und mir ist scheißegal, was Free sagt – dies ist die Wahrheit. Candy bekam in Berkeley schnell Probleme, große Probleme. Hast du eine Ahnung, was ein Medizinstudium alles voraussetzt? Tonnenweise Chemie, Physik, Differentialrechnung, Biologie – und das sind erst die Grundlagen. Nach einem Monat mußte Candy dreiviertel ihrer Kurse streichen. Die anderen Studenten waren ihr um Lichtjahre voraus, denn sie hatten auf der Highschool spezielle Vorbereitungskurse belegt; ebenso Candy, die jedoch die meiste Zeit verträumt hatte. Nun besorgte sie sich gleich mehrere Nachhilfelehrer, doch die wußten nicht, wo sie anfangen sollten. Sie fragten Candy Dinge wie ›Weißt du, was ein Derivat ist?... Du weißt nicht, was eine chemische Basisreaktion ist?... Du weißt nicht, was F gleich MA bedeutet?‹ Candy war völlig überfordert. Mit etwas mehr Zeit hätte sie sich vielleicht zusammenreißen und das Zeug lernen können. Sie war schließlich nicht blöd, aber sie hatte nie gelernt, richtig zu pauken. Der ganze Streß ließ sie immer mehr verkrampfen. Hinzu kam, daß sie sich für die Pflichtfächer einfach nicht interessierte. Free hat recht, wenn er sagt, daß Candys Eltern aus ihr eine Ärztin machen wollten. Candy wollte eigentlich Künstlerin werden, doch sie belegte nicht einen einzigen Kunstkurs – genau wie auf der Highschool.
    Im ersten Semester mußte Candy alle schweren Kurse abwählen, da sie sonst in jedem eine glatte Fünf bekommen hätte. Statt der durchschnittlich fünfzehn bis achtzehn Prüfungen pro Semester schaffte sie gerade mal sechs. In Englisch und Psychologie bekam sie immerhin eine Drei. Ihr Mentor zitierte sie in sein Büro, und lediglich diese beiden Noten verhinderten, daß er ihre Eltern anrief. Candy versprach, sich zu bessern. Trotzdem meinte ihr Mentor, sie könne Medizin vergessen, und stellte einen wesentlich leichteren Vorlesungsplan für sie zusammen. Irgendwie war sie erleichtert, aber gleichzeitig auch geschockt. Ihre Eltern finanzierten ihr Studium. Wenn sie herausfänden, was ablief, würden sie die Wände hochgehen und ihr den Geldhahn abstellen. Was dann? Auf allen vieren würde sie nach Hause kriechen und in allen Fast-Food-Restaurants um einen Job winseln. Von Panik ergriffen, ging sie zur Verwaltung, wo sie die Anschrift ihrer Eltern in eine nicht existierende Postfachadresse umschreiben ließ.
    Über Weihnachten fuhr Candy nach Hause und gab nur vage Auskunft darüber, wie sie vorankam. Ihre Eltern waren zufrieden, zumindest fürs erste. Die meiste Zeit ihrer Ferien verbrachte Candy damit, John zu finden. Sie fuhr zu seinen Eltern, doch die ließen sie nicht einmal ins Haus. Sie sprach kurz mit seinem Stiefvater, der sagte, er habe nicht den leisesten Schimmer, wo John steckte. Sie ging zu seinem alten Arbeitsplatz – dasselbe Lied. Mehr Spuren hatte sie nicht. John war nicht der Typ, der Freunde hat. Wirklich, das war traurig für John. Sie war sein einziger echter Freund gewesen; er hatte so viele wunderbare Eigenschaften, aber gewährte anderen Leuten nie einen Blick hinter seine schroffe Fassade. Gerechterweise muß man aber sagen, daß John auch Candys einziger wahrer Freund gewesen war. Als sie einander verloren hatten, hatten sie praktisch alles verloren. Voller Schwermut kehrte Candy nach Berkeley zurück.
    Im zweiten Semester wurde sie besser. Schlechter wäre auch schwierig gewesen. Trotzdem wurde sie allmählich nervös, weil sie immer noch kein Hauptfach hatte. Sie wußte, ihr Kartenhaus würde in Kürze einstürzen. Aber wenn es soweit war, wollte sie nicht unter den Trümmern

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