Eine lange dunkle Nacht
schwanger. Das neue Semester hatte begonnen, und Henrys Frau war wieder zurück, als Candy die Schwangerschaft bemerkte. Sie ließ zwei Monate vergehen, bis sie es sich von einem Arzt bestätigen ließ und es Henry schließlich erzählte. Während all der Wochen war sie in der klassischen Leugnungsphase gewesen. Ihr konnte so etwas nicht passieren, redete sie sich ein. Die Schwangerschaft würde schon irgendwie verschwinden. Eines Morgens würde sie aufwachen, und der Fötus in ihrem Bauch würde sich in Luft aufgelöst haben. Aber sie war nicht naiv. Mit Leugnen hatte sie jede Menge Erfahrung. Darin war sie Meisterin, und sie kannte alle Anzeichen. Schließlich ging sie zum Arzt der Universität, der jegliche Zweifel ausräumte.
Candy erzählte es Henry, während sie sich – Popcorn kauend – einen Science-Fiction-Film ansahen, der von einem außerirdischen Raumschiff handelte, das in Wirklichkeit Teil der Seele Gottes war und die Erde besuchte, um die Menschheit zu retten. Candy erfuhr nie, wie der Film endete. Henry führte sie aus dem Kino und bat sie zu wiederholen, was sie da eben gesagt hatte. Der arme Kerl hatte sie jedoch schon beim ersten Mal richtig verstanden.
Henry wollte eine Abtreibung. Auch sie meinte, daß dies wahrscheinlich das beste sei. Er bot ihr an, die Abtreibung zu bezahlen, und wieder stimmte sie zu. Sie hatte kaum Geld. Er wollte sogar in die Klinik mitkommen, was sie jedoch ablehnte. Man hätte sie dort zusammen sehen können. Ihre Gedanken waren ein einziges Chaos. Sie wollte Henry nicht hintergehen, brauchte aber etwas Zeit zum Nachdenken. Aber dies sagte sie ihm nicht. Sie sagte bloß, sie würde sich um alles kümmern.
Am nächsten Tag ging Candy nicht zur Uni, sondern fuhr nach San Francisco – zur Golden Gate Brücke. Dort stand sie eine halbe Ewigkeit, beobachtete die vorbeiziehenden Schiffe unter ihr, genoß den Wind in ihren Haaren und die salzige Luft in ihrer Nase. Sie hatte keine Ahnung, weshalb sie gerade dorthin gefahren war, um eine solch wichtige Entscheidung zu treffen. Auf der Brücke geschah nichts, das ihr weitergeholfen hätte. Gott sandte ihr kein Zeichen. Als sie schließlich zurück zum Wagen schlenderte, wußte sie dennoch, was zu tun war. Sie spürte die Gewißheit tief im Innern – sie mußte ihr Baby behalten. Es war wichtig, daß sie davon voll und ganz überzeugt war. Ansonsten hätte sie das, was noch auf sie zukommen sollte, nie im Leben durchstehen können.
Henry flippte aus, als er erfuhr, was sie vorhatte. Stundenlang redete er auf sie ein, wollte sie umstimmen. Sie sei zu jung, um Mutter zu werden. Sie solle ihr Studium beenden. Er sei zu alt, um noch Vater zu werden. Man würde ihn feuern, wenn die Geschichte rauskäme. Candy versuchte, ihn so gut es ging zu beruhigen. Sie hatte nicht vor, ihm in irgendeiner Weise zur Last zu fallen und würde nichts, rein gar nichts von ihm verlangen. Niemand würde erfahren, daß das Kind von ihm war. Geduldig hörte ihr Henry zu, als sie ihm zu erklären versuchte, weshalb sie das Kind behalten mußte, doch da sie den Grund selbst nicht genau kannte, kam sie nicht weiter. Sie wollte das Baby, er nicht. Ihre Beziehung endete in dieser Nacht, obwohl sie sich dies erst einen Monat später eingestanden. Sie trafen sich immer seltener, und als ihre Schwangerschaft unübersehbar wurde, brach der Kontakt ganz ab.
Candys Baby kam am Valentinstag zur Welt – ein kleiner, wunderschöner dunkelhaariger Junge. Sie gab ihm den Namen John, nannte ihn jedoch immer Johnny. Weder Henry noch ihre Eltern waren bei der Geburt dabei. Man konnte es ihnen nicht verübeln. Candy brachte Johnny in einem Kleinstadtkrankenhaus an der Küste Oregons zur Welt. Dorthin war sie gezogen, um alles zu vergessen und von vorn anzufangen. Ihr Studium hatte sie abgebrochen und lebte von Sozialhilfe. Irgendwie war ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen. Sie hatte keinen Abschluß, kein Geld, keinen Mann. Aber Johnny war gesund und wunderschön, und sie liebte ihn mehr, als sie je einen Menschen geliebt hatte. Für sie war John der Vater ihres Babys und nicht Henry. Sie wußte, daß dies ein absurder Gedanke war, aber so empfand sie nun mal.«
Poppy Corn verstummte. Sie griff in die Manteltasche und fischte eine Zigarette heraus. Hustend zündete sie den Glimmstengel an und inhalierte tief. Dann starrte sie durchs Fenster auf den Ozean. Die Wellen waren pechschwarz und brandeten auf einen unsichtbaren Strand. Teresa wartete, ob Poppy noch
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