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Eine Leiche zu Ferragosto

Eine Leiche zu Ferragosto

Titel: Eine Leiche zu Ferragosto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Fiammetta Lama
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Zeiten, etwas zurückgesetzt vor der letzten Bar, das Ferrajolo-Theater seinen Platz hatte, mit drei Vorstellungen pro Abend für wenige, unvergessliche Wochen im Sommer.
    Nur die Sitzplätze mussten bezahlt werden, ein Dutzend Reihen zu je zehn oder zwölf Stühlen, immer vollbesetzt mit Kindern in aufsteigender Größe und dem einen oder anderen Erwachsenen, der nicht die ganze Vorstellung über stehen mochte. Alle anderen suchten sich rund um das bestuhlte Viereck ihre Plätze, manche betont gleichgültig, andere freiheraus gespannt. Nach der Vorstellung konnte jeder, der wollte, noch für eine freiwillige Spende in die Tasche greifen, während die Kinder sich um den improvisierten Verkaufstisch scharten, wo man die Prinzessin, den Bösen König, Pulcinella, Stan und Olli und sogar den Tod erwerben konnte.
    An diesem Abend sollte »Pulcinella hält die Totenwache« gespielt werden, eine turbulente Aneinanderreihung von Knalleffekten, Raufereien und Schaurigkeiten.
    Die Kinder lachten, ebenso die Erwachsenen, und jedermann knabberte an etwas. Vielleicht war dies das wahre Erfolgsgeheimnis des Marionettentheaters, eine Theke seitlich der Bühne, wo alle möglichen Leckereien aus alten Zeiten feilgeboten wurden, die bei Eltern und Großeltern nostalgische Gefühle hervorriefen.
    Im Ferrajolo-Theater gab’s kein Popcorn und auch keine Chipstüten oder Kaugummis, Eis oder sonstigen gewöhnlichen Süßkram. Nein, hier wurden geröstete Mandeln verkauft, Zuckerstangen mit Zimt-, Kirsch-, Orangen-, Erdbeer-, Minz-, Schoko-, Zitronen-, Bananen- oder jedem anderen Geschmack, den man sich nur vorstellen konnte, außerdem Zuckerwatte und andere Leckereien mehr.
    Alle kauften, alle knabberten, in einer Orgie von Klebefingern und zerrissenen Taschentüchern, und für ein paar Münzen fühlten die Großen sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Das Puppentheater war eine Tür in Raum und Zeit, die sich auf dieVergangenheit öffnete, und so war Abend für Abend das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen im Publikum umgekehrt proportional zu dem, was man erwartet hätte.
    Die Gruppe war trägen Schrittes herangeschlendert. Es war Bebè gewesen, die vorgeschlagen hatte, in Richtung Theater zu gehen, und die anderen hatten sich nicht lange bitten lassen. Was konnte es nach einem netten Abendessen im Boccaccio Besseres geben als eine Zuckerstange und ein bisschen was zum Lachen? Also suchten sie sich ihre Plätze, manche auf den Stühlen, manche am Rand, alle mit einem warmen, duftenden Tütchen in der Hand, ein paar sogar mit der Zigarette in der anderen.
    Es war eine dieser zusammengewürfelten Gesellschaften, wie man sie gegen Ende des Sommers häufig antraf. Bebè war natürlich mit von der Partie, außerdem Regina, Titta mit Martina, Pippo, de Collis mit einem Freund und die Buonocores, Olimpia mit Pater Lillo, De Giorgio allein und dann noch Avvocato Palumbo, die Pasqualettis und ein paar andere. Allgemeines Winken und Lächeln in Richtung der vollzählig erschienenen Familie D’Onofrio auf der anderen Seite des Vierecks, ebenso zu Lolli Marino, den Fasulos, Agata Cristi mit ihrem neuen Freund und noch einigen anderen. In dem Durcheinander und Lärm ging manch einer hinaus, um in Ruhe und ohne den jungen Zuschauern zu schaden eine Zigarette zu rauchen, um sich unter vier Augen zu unterhalten oder einen kleinen Verdauungsspaziergang zu machen. Jede Vorstellung dauerte eine Dreiviertelstunde, und Santomauro war es später unmöglich, zu rekonstruieren, wer sich wann und für wie lange von den anderen entfernt hatte.
    Die Einzige, die sich mit Sicherheit entfernt hatte, und zwar für immer, war Bebè Polignani.
     
    »Sie könnte ausgerutscht sein und sich den Kopf gestoßen haben.«
    »Könnte sie, ja, glaube ich aber nicht.«
    Der junge Gerichtsarzt nickte und entfernte sich, um seineAnweisungen zu geben. De Collis war aus offensichtlichen Gründen seiner Pflicht enthoben.
    Die Leiche lag am Rande des Lichtkegels, den die letzte Laterne auf die Mole warf.
    Santomauro sah hinab; auf der nassen Mole sah Bebè aus wie eine Meerjungfrau, die man an Land gezogen hatte. Der Vergleich kam ihm ganz spontan, vielleicht wegen der langen Haare, die verworren und nass vom Meerwasser mit ein paar Algen verschlungen waren, oder vielleicht wegen des am Körper klebenden Kleides, das durch eine Laune des Schicksals ausgerechnet heute Abend schillernd grün war, eine fließende smaragdfarbene Tunika, die sich eng an ihre schlanken Beine und

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