Eine Leiche zu Ferragosto
Berechnungen würden sie nicht lange warten müssen. Lange bevor die Truppe in den angrenzenden Speisesaal strömen und nach Frühstück verlangen würde, hätten sie schon eine Antwort auf ihre Fragen.
Bald wäre die Küche den ganzen Tag bis in den späten Abend hinein ein einziges Kommen und Gehen. Die einen schauten herein und baten um einen Keks, die anderen wollten Kaffee oder eine Scheibe Brot. Der Diabetiker Nardacchio kochte sich sein Essen selbst, weil er niemandem sonst traute, Manselli würde sich hereinschleichen und heimlich über die Reste hermachen; kurz, ruhig war es hier nur am frühen Morgen, bis halb sieben und keine Minute länger.
Sie versteckten sich in der Vorratskammer. Maria Pia spürte in der Dunkelheit Cozzones warmen Atem neben sich, etwas zu nah vielleicht, aber dann musste er husten und rückte so weit ab, wie es die um sie herum aufgestapelten Kartons zuließen.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Ihre Augen hatten sich gerade an die Dunkelheit gewöhnt, und sie hatten sich einen verschwörerischen Blick zugeworfen, gleich würden sie zu kichern anfangen wie zwei Kinder, als sie plötzlich den Schlüssel im Schloss hörten und jemand hereinkam.
»Schnell! Bist du sicher, dass uns niemand gesehen hat?«
»Wer soll denn schon hier sein, um diese Uhrzeit? Außerdem schlafen eh alle noch, nach dem Chaos von letzter Nacht.«
»O ja, ich hätte auch gern weitergeschlafen.«
»Du weißt, dass wir es heute oder nie tun müssen. Außerdem ist es mittlerweile so dick wie ein Schwein.«
»Gib her, lass mal sehen, Menschenskinder, wie das zappelt. Schneidest du ihm die Gurgel durch oder ich?«
»Lieber du, ich kann so was nicht.«
Doch sie kamen nicht dazu, denn Maria Pia stürzte wie eine Furie aus ihrem Versteck, und Cozzone kam zur Verstärkung hinter ihr hergestürmt.
Das hätte es gar nicht gebraucht. Bancuso und Licalzi waren so erschrocken, dass sie wie zu Salzsäulen erstarrten. Licalzihatte einen Sack in der Hand, in dem es wackelte und zappelte, als steckte ein Haufen lebendiger Aale darin. Maria Pia riss ihn aus seiner Hand, löste den Knoten und schloss unter Tränen das Tierchen in die Arme, das wie wild versuchte, sich zu befreien. Schmutzig, sehr viel dicker als zuvor und total verängstigt, aber ohne jeden Zweifel Gustavo.
Pippo fuhr um Punkt acht hoch und saß hellwach im Bett, während das Blut wild durch seine Adern pulsierte. Er spürte eine merkwürdige erwartungsvolle Anspannung, eine nicht unangenehme Erregung, als stünde etwas Bedeutendes bevor. Zusammenhanglose Traumfetzen zerstoben, während er aufstand. Das Gefühl zu fallen, immer tiefer, immer tiefer, er musste zum Zug rennen, doch der fuhr schon los, und er hatte ohnehin nicht genug Geld für die Fahrkarte … Seine Nerven schienen blankzuliegen, er fühlte sich, als hätte man ihm die Haut abgezogen und Muskeln und Fleisch freigelegt. Und über allem dieses wilde Gefühl der Vorfreude, die Gewissheit, dass der Tag etwas Besonderes bringen würde.
Dann fiel es ihm wieder ein.
Das Fest. Das war es.
Heute war der Tag des Dorffestes.
Er betrachtete sich im Badspiegel und begann wie ein kleiner Junge zu lachen.
Inmitten der vielen ungleich dringenderen Probleme war der glückliche Ausgang von Gustavos Entführung immerhin ein kleiner Lichtblick.
Damit versuchte sich Santomauro am frühen Morgen zu trösten, doch ein böser Kobold flüsterte ihm sämtliche potentiellen Schlagzeilen der morgigen Zeitungen ins Ohr. MÖRDER VON PIOPPICA NOCH IMMER NICHT GEFASST! – DAFÜR GELÖST: DAS GEHEIMNIS UM GUSTAVO! Oder vielleicht: DIE FRAU IN DEN ALGEN: KEINE NEUEN ERKENNTNISSE, ABER GUSTAVO GERETTET! Und so weiter, eine lange Kette von nutzlos masochistischen Gedanken. Er malte sich sogarschon den Anruf von Staatsanwalt Gaudioso aus, als Pietro Gnarra hereinkam und ihn aus seinen düsteren Grübeleien riss.
»Also, Simone, das ist doch echt unfassbar! Wenn ich mir überlege, dass keiner von uns Maria Pia geglaubt hat, als sie sagte, das verdammte Kaninchen sei noch am Leben!«
Pedro war in Hochform: Er war braungebrannt, die Uniform saß wie angegossen, und unter dem obersten, offenstehenden Hemdknopf blitzte ein halbes Kilo Gold hervor.
Santomauro seufzte. Er fand, dass er muffelte, wusste, dass er ein aschfahles Gesicht hatte, und der Geschmack in seinem Mund war kaum besser. Dafür begann sich sein rasierter Schädel zu schälen, und unter der Bräune würde bald wieder die rosafarbene Haut
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