Eine Leiche zu Ferragosto
wenig um.«
Die Terrasse hinter dem Haus, die Santomauro tags zuvor gesehen hatte, fiel bis zu dem nur wenig tiefer gelegenen Kieselstrand ab. Ein einsamer Ort, ideal für einen Einbrecher auf der Suche nach Arbeit. Doch die Leute, die hier Urlaub machten, schienen die Möglichkeit ausblenden zu wollen, dass auch die Kriminellen, die die Städte bevölkerten, sich vielleicht einmal zu einer Dienstreise entschließen könnten. Pioppica war ein echtes Paradies, und sie wollten es so, mit offenen Häusern, die von Freunden, ohne zu klingeln, betreten werden konnten, was gleichermaßen auf Feinde zutraf.
Das Haus sah verlassen aus, als hätte seit Jahren niemand mehr dort gewohnt, ganz sicher nicht wie ein innig geliebter und mit Sorgfalt restaurierter Ort, als den Santomauro ihn sich im Gespräch mit der Polignani ausgemalt hatte. Früher vielleicht schon, das ja, doch nun sah man überall Anzeichen der Vernachlässigung. Unkraut spross zwischen den dicken Kieseln des Weges, der Putz bröckelte von den Mauern, die Regenrinne war lose und ein Fenster sogar kaputt. Santomauro trat näher, um es sich anzusehen. Die Scheibe war unlängst zerbrochen, durch menschliche Einwirkung und nicht durch den Zahn der Zeit. Das war ihm am Tag zuvor nicht aufgefallen, weil es sich um ein Seitenfenster handelte.
»Hast du das gesehen, Totò?«
»Allerdings. Denkst du das, was ich denke?«
»Die Scherben liegen draußen. Es wurde also von innen zerschlagen.«
»Ein vorgetäuschter Einbruch? Aber warum?«
»Jemand wollte sich drinnen umsehen, jemand, der die Schlüssel hat, aber nicht wollte, dass man auf ihn kommt. Also hat er das Fenster zerschlagen, war aber nicht raffiniert genug.«
»Und warum ist er nicht einfach rein und raus, ohne Schaden anzurichten? Wenn er den Schlüssel hatte, warum hat er nicht abgeschlossen? Schau mal, die Tür ist ja nur angelehnt.« Manfredi hatte mit der Hand gegen die massive Holztür gedrückt, die geräuschlos aufschwang.
»Keine Ahnung, aber die Sache gefällt mir nicht. Gehen wir rein.«
»Dürfen wir das denn, ohne Durchsuchungsbefehl? Simone, ich will keinen Ärger.«
»Was bist du immer skrupulös. Wovor hast du Angst? Es gibt Einbruchsspuren, die Hausherrin ist abwesend, das reicht als Tatbestand, um reinzugehen. Keine Sorge, ich übernehme die Verantwortung. Außerdem stehe ich eh wie ein Vollidiot da, weil ich gestern nichts bemerkt habe. Nach allem, was wir wissen, könnte sich dort drinnen ein Verletzter befinden oder ein Toter, oder jemand mit bösen Absichten.«
Das glaubten sie beide nicht, doch sicherheitshalber betraten sie die Villa mit aller Umsicht, der uniformierte Manfredi zückte die Dienstwaffe. Im Flur teilten sie sich auf, und eine schnelle Runde durch das einstöckige Haus bestätigte ihnen, dass es leer war. Sie stießen die schweren hölzernen Fensterläden auf, so dass Licht in die Zimmer und auf das Durcheinander flutete, das überall herrschte.
»Von wegen nur mal umsehen, das Haus wurde komplett auf den Kopf gestellt.«
»Stimmt, aber nicht von Einbrechern. Schauen wir uns mal um.«
Während er durch die Zimmer ging, versuchte Santomauro sich ein Bild von der Hausbesitzerin zu machen, denn dass sie erraten würden, was der Eindringling mitgenommen hatte, war ohnehin unwahrscheinlich. Zweifellos war es eine hektische, aufgeregte Suche gewesen, das bewiesen Kissen, Tischdecken, Laken und andere Gegenstände, die über den ganzen Bodenverstreut waren, doch zugleich hatte die Person sich bemüht, nichts kaputtzumachen. Eine sehr schöne, vielleicht auch wertvolle grünblaue Emailvase war vorsichtig zusammen mit Büchern und Zeitschriften aus dem großen Regal auf den Boden geräumt worden. Andere zerbrechliche Sachen waren ebenso umsichtig behandelt worden. Eine Reihe größerer, mit Meeresmotiven bemalter Steine waren ordentlich an der einen Wand gestapelt, einige Bilder von den Wänden abgenommen und achtsam auf den Boden gestellt. Der Maresciallo trat näher und nahm ein paar von ihnen hoch. Es handelte sich um Skizzen in diversen Sepiatönen, in einer Technik gemalt, die sich seines Wissens Rötelzeichnung nannte. Verschiedene Landschaften, verschiedene Maler, mit einem gemeinsamen Nenner: sie stammten alle vom Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Santomauro zählte ein rundes Dutzend, vielleicht ein paar mehr, und er beneidete die Nonchalance, mit der hier eine Kunstsammlung von unzweifelhaftem Wert in einem selten genutzten Ferienhaus
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