Eine Leiche zu Ferragosto
um der Versuchung zu widerstehen, sich umzudrehen und seine Exliebe anzusehen.
Der Gottesdienst neigte sich zum Ende. Überrascht und ungläubig sah Santomauro, wie Titta Sangiacomo sich mit Trauermiene einreihte, um die Kommunion zu empfangen. Er warder einzige von den Freunden, umringt von ältlichen Damen in Schwarz, die sicher zu den gewohnheitsmäßigen Kirchgängern gehörten. Der Maresciallo drehte sich um und wollte sehen, ob sonst noch jemand für das heilige Sakrament nach vorne ging, dabei begegnete er Bebè Polignanis Blick. Sie lächelte ihn fast unmerklich an, dann zwinkerte sie ihm zu.
Sie waren alle da, wie zufällig versammelt. Sie waren so hereingetröpfelt, zuerst Bebè, dann nach und nach die anderen. Regina hatte sie gastfreundlich wie immer empfangen, hatte Nüsse und Aperitifs herumgereicht, dann hatte jemand vorgeschlagen, vor lauter Unsicherheit als Scherz getarnt, die Karten auszupacken, einfach um etwas zu tun, und in null Komma nichts hatten sich drei Tische gebildet. Von da an verlief der Abend wie alle anderen, und als Bebè es wagte, eine Bemerkung über die Beerdigung fallenzulassen, erntete sie zahlreiche vorwurfsvolle Blicke.
Vom Kartenspiel war es nicht weit zu einem Topf Spaghetti für alle. Regina goss die Nudeln ab und vermischte sie mit einer improvisierten Soße aus Cocktailtomaten, Oliven, Kapern und Sardellen. Aus dem Keller stieg Avvocato Palumbo herauf, der gerade aus Neapel gekommen war und ein ausreichend wasserdichtes Alibi zur Hand hatte, um hemmungslos seine Fröhlichkeit zur Schau tragen zu dürfen. »Hier sind zwei schöne Tropfen, auf die Lebenden und die Toten!«
Die Übrigen lächelten wohlerzogen. Palumbo konnte manchmal etwas derb sein, doch er war Staranwalt und hatte mit Elena zudem höchstens zweimal in seinem Leben ein Wort gewechselt.
Maria Pia wurde immer merkwürdiger. Traurig dachte Totò Manfredi darüber nach, während er sich die Windel um den geschwollenen Knöchel schlang. Früher wäre sie sofort besorgt herbeigeeilt und hätte mit ihm über die Größe des giftigen Vieches diskutiert, das ihn hinterrücks gestochen hatte. Eine afrikanische Mücke, eine cilentanische Wespe, wer weiß. Jedenfalls war dieStelle jetzt dick und rot und schmerzte, doch Maria Pia hatte ihm nur einen zerstreuten Blick zugeworfen und ihm auf seine Bitte hin ohne jegliches Interesse die volle Pipiwindel von Martino, ihrem Jüngsten, gereicht. Manfredi seufzte, verkniff sich seine Erklärungen über die wundertätige Wirkung von Kinderurin und begab sich betrübt zur Kaserne, wo sein nacktes, haariges Bein mit dem ungewöhnlichen Verband bestimmt die gebührende Aufmerksamkeit bekommen würde.
Auch Santomauro war mehr zufällig da. Am Ausgang der Kirche hatte de Collis ihm in seiner kurzangebundenen Art, an die er sich allmählich gewöhnte, gesagt: »Kommen Sie später zu Regina? Sie werden sehen, es sind alle da.«
Santomauro hatte schon eine Ausrede auf der Zunge gelegen, als der Arzt ihn mit erhobenen Augenbrauen angesehen und noch einmal betont hatte: »Wir werden wirklich vollzählig versammelt sein. Gibt es eine bessere Gelegenheit, uns in unserer natürlichen Umgebung zu beobachten? Wenn einer von uns der ist, für den Sie ihn halten …«
Dann hatte er sich auf dem Absatz umgedreht und ihn stehenlassen. Schweren Herzens hatte der Maresciallo sich eingestehen müssen, dass dies nicht der schlechteste Rat war, und so hatte er noch ein paar Dinge im Büro erledigt und war dann in Richtung Rocca gefahren. Er ging durch den langen Laubengang, der direkt vor der offenstehenden Haustür endete, aus der Licht und Gelächter nach draußen drangen. Als Erstes traf er auf Pippo Mazzoleni, der ihm fast freudig entgegenkam.
»Maresciallo! Was für eine angenehme Überraschung! Regina, sieh nur, wer da ist.«
Augenblicklich fühlte er sich unwohl, wie ein Eindringling, doch alle waren äußerst nett und versuchten darüber hinwegzusehen, was sie nur zu gut wussten, dass er nämlich aus beruflichen Gründen hier war, um sie zu beobachten und auszuspionieren wie ein Insektenforscher seine kleinen Tierchen. Vielleicht dachte der eine oder die andere auch gar nicht daran, wie beispielsweise Bebè, die sofort ungehemmt zu flirten begann,oder Olimpia Casaburi, die mit finsterer Miene in einer Ecke saß und in einer Zeitschrift blätterte. De Collis saß an einem Tisch mit Karten in der Hand und nickte ihm zerstreut zu, um ihn dann den ganzen Abend nicht weiter zu
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