Eine Leiche zu Ferragosto
gehörten Streits, die Frau des Hauses lächelte, als gäbe es keine Sorgen auf der Welt. Komische Leute, dachte der Maresciallo, und schlängelte sich wie ein Aal zum Ausgang in dem Glauben, nicht beobachtet zu werden.
Vielleicht war dem so, doch draußen erwartete ihn Bebè im Schatten eines großen, dichtbelaubten Baumes. Zuerst nahm er ihr Parfüm wahr, aufdringlich, frisch und dreist wie sie, dann stand Bebè neben ihm mit nach Sangria riechendem Atem. Er hatte keine Zeit zu reagieren, so schnell und selbstverständlich kam der Kuss, eine fließende Bewegung, mit der die Frau, eben noch im sicheren Abstand zu ihm, sich gleich darauf schon an seinen Körper schmiegte wie eine zweite Haut. Sie schmeckte wirklich nach Sangria, das blieb als vage Erinnerung auf seiner Zunge zurück, während er sich in Windeseile aus den nackten Armen und Beinen wand, die sich um ihn schlangen. Es kostete ihn eine gewisse, nicht nur körperliche Anstrengung, bis sie schließlich beide keuchend im Halbschatten standen und sich ansahen.
»Da schau her«, meinte sie fast freundlich, »noch so einer, der sich der Keuschheit verschrieben hat!«, und ging zur Villa zurück, ohne sich noch einmal umzublicken.
Die in Samirs Haus entwendete Kassette erwartete ihn im Videorekorder. Santomauro machte alle Lichter aus und ließ sich vor dem Gerät nieder. Er drückte die Play-Taste, und der Film begann zu laufen. Der Titel auf der Kassette lautete schlicht und einfach »Valentina«, und Valentina bekam er zu sehen.
Valentina mit türkisfarbenen Fingernägeln und hellblau lackierten, mit Gold bestäubten Fußnägeln. In einen glänzenden Sari gekleidet, ohne Slip. Schön und ohne jede Scheu.
In dem dunklen Zimmer ließ der Fernseher sie im Geist und in den Augen des Maresciallo so lebendig wiederauferstehen, wie es kein Foto, keine Beschreibung und Erzählung all jener, die sie kannten, vermocht hatte. Sie war schlicht und ergreifend wunderschön, eine dunkelhäutige Gestalt voller Licht und Leben, die lächelte, redete, schwamm oder schlief, alles vor der Filmkamera, als wäre sie gar nicht vorhanden. Samir war wirklich gut: Wäre er am Leben geblieben, hätte er sich bestimmt die Zukunft geschaffen, die er suchte.
Vielleicht, dachte der Maresciallo, denn in diesen Dingen zählte nicht allein die Begabung, sie stand vielleicht sogar an letzter Stelle und war nicht einmal unabdingbar.
Talent hatte er also, und das Auge der Kamera streichelte die junge Frau wie die Hand eines Geliebten. In ihrer Schönheit steckte etwas Wildes, Ungezähmtes, und sie ähnelte tatsächlich Disneys Pocahontas. Sie hatte dichtes, schwarzes Haar, das ihr offen über die Schultern bis zur Taille herabhing. Manchmal wickelte sie es mit einer Hand auf und formte einen Knoten daraus, der dann weich im Nacken lag und ihren langen, eleganten Hals betonte.
Ihre Augen waren leicht asiatisch geschnitten und von einer merkwürdigen Farbe, die Santomauro für Violett hielt, ohne sich ganz sicher zu sein. Die Nase war gerade, nicht im klassischen Sinne schön, aber perfekt für ihr Gesicht, dazu ein kleiner Mund mit vollen Lippen. Ihr Körper war biegsam und schlank, doch Busen und Hintern waren atemberaubend, und sie bewegte sich mit der trägen Grazie und Majestät eines Panthers über den Bildschirm.
Eine gefährliche Frau, schoss es Santomauro durch den Kopf, und er begriff noch während des Gedankens, dass es zu spät war.
Eine gefährliche Frau selbst im Schlaf, wie in einer der Einstellungen, die sie zusammengerollt mit leicht geöffneten Lippenund entspannten Gesichtszügen zeigte. Er fand dieses Bild merkwürdigerweise anrührend und spulte noch einmal zu ihrem halb unter dem dunklen Haarfächer verborgenen Gesicht zurück. Etwa eine Minute betrachtete er die Schlafende, ohne etwas zu denken, dann fuhr er fort.
In einer Aufnahme trug Valentina ein Kleid von einem ungewöhnlichen Türkis, Finger- und Fußnägel waren in der gleichen Farbe lackiert. In einer anderen war der vorherrschende Farbton ein schimmerndes Weiß, ein anderes Mal Schwarz, und immer passten Nagellack und Kleid zusammen.
In der letzten Aufnahme war sie nackt, und nackt waren auch Nägel und Lippen. Sie lag auf einer Fläche, die Santomauro nicht identifizieren konnte, und blickte nicht in die Kamera. Sie wirkte versunken, fern, vielleicht auch ein wenig traurig. Sie bewegte sich nicht, bis der Bildschirm schwarz wurde; der Maresciallo blieb im Dunkeln vor dem Fernseher sitzen und fragte
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