Eine Leiche zu Ferragosto
hatte sie ständig gekniet, und er betrachtete ihr geneigtes Haupt mit widerstrebender Zärtlichkeit. Was für ein Kind sie doch ist, dachte er. Und gleich darauf: O Gott, ich werde mich doch nicht in sie verlieben?
In der dritten Reihe saß vollzählig Familie D’Onofrio.
Avvocato Armando hatte darauf bestanden, und seine Frauen hatten gehorcht. Mina saß am äußersten Bankende, fast an die Mauer gequetscht, hatte aber immer noch Platz genug, die schönen Beine unter dem allzu kurzen Rock zu zeigen. Die drei Töchter waren in absteigender Reihenfolge zwischen sie und das Familienoberhaupt gepfercht. Gaia mit Piercing, Top und reichlich Ohrringen hockte halb benommen neben ihrem Vater. Sie sah Giorgio etwas weiter vorn auf der anderen Seite, doch der hatte sich nicht ein Mal zu ihr umgedreht. Sie knabberte an derHaut neben ihrem Daumennagel, die schon bis auf das Fleisch abgekaut war.
Titta Sangiacomo beobachtete das ganze Geschehen für seine farbenprächtige Reportage im »Echo des Cilento«.
Die trauernden Freunde und unter ihnen der Mörder. Das würde Spaß machen, heute Abend, es sei denn, Martina käme. Sicher, weicher Birnenhintern und Hängetitten, kein Vergleich zu Cristina, aber immerhin konnte sie kochen und machte den Mund nur auf, wenn es gar nicht anders ging. Apropos Mund, er hatte da ein paar Ideen, bei denen Hintern und Titten zu vernachlässigen waren. Martinas Mund war weich und fleischig. Nun komm aber, du bist in einer Kirche, dachte er kurz und gleich darauf, mir doch egal.
Professor de Collis hätte sich die Beerdigung gern erspart, doch dann dachte er, dass seine Abwesenheit auffallen würde und einige Leute Verdacht schöpfen könnten. So saß er etwas abseits zwischen zwei ihm bekannten Paaren, die er nicht besonders mochte. Vor ihm schluchzte eine gutgekleidete ältere Dame in ihr Taschentuch. Eine Tante aus Neapel, vermutete er, die Einzige, die Elenas Tod wirklich bedauerte. Wieder sah er den nackten, obszön und bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichnam vor sich auf dem Arbeitstisch. Das tote, graue Fleisch, die schwarzen, schlammverkrusteten Haare. Elena, warum musstest du so sterben?
Die Totenbahre stand alles beherrschend in dem kleinen Kirchenschiff. Niemand betrachtete den glänzenden Sarg, auf dem in einem Blütenkissen aus weißen Tuberosen ein kleiner Zettel steckte. Regina hatte sich die Mühe gemacht, nach vorne zu gehen und ihn zu lesen, und wusste daher, dass dort schlicht »In unendlicher Liebe, Pippo« stand.
Regina überkam ein merkwürdiges Gefühl, das sie selbst nicht hätte beschreiben können. Elena war da, aber eigentlich war sie nicht da. Nichts in dieser kleinen, kühlen Kirche sprachvon ihr, zwischen all den gelangweilten und mit sich selbst beschäftigten Menschen.
Santomauro kam zu spät. Nach Samirs Autopsie war er zur Entgiftung bis zur Spitze der Landzunge hinausgeschwommen, wo er sich auf die Felsen gelegt und kurz die Augen geschlossen hatte; als er erwachte, reichte die Zeit nur noch dafür, keuchend nach Hause zurückzukehren und, ohne zu duschen, in die Kirche zu hetzen, die Haare salzverkrustet und die feuchte Badehose noch unter der Jeans. Neidvoll betrachtete er den wie immer tadellosen de Collis, frisch rasiert, ordentlich gekämmt und passend gekleidet. Keiner hätte gedacht, dass er nur zwei Stunden zuvor mit seinen Händen in den Eingeweiden eines unschuldigen Jungen gewühlt hatte, Leber und Milz herausgezogen, sie gewogen und anschließend seziert hatte, um herauszufinden, wie lange er noch hätte leben können, wäre er nicht vorher von jemandem umgebracht worden.
Olimpia Casaburi, frisch vom Friseur, wiegte sich rhythmisch in ihrer Bank hin und her, während sie mit geschlossenen Augen ein Gebet murmelte. Santomauro hätte sie nicht unter den Trauernden vermutet, aber man wusste ja nie. Weiter vorn saß Regina Capece Bosco; ihr Raubvogelprofil war leicht zu erkennen. Sie blickte jemanden starr an. Santomauro reckte sich ein wenig und entdeckte den gebrochenen Witwer, der gar nicht so gebrochen aussah, sondern eher müde und verlegen, vielleicht schmerzten ihn auch nur die Füße.
Die Familie D’Onofrio füllte eine komplette Reihe, die Buonocores sahen sich lächelnd an und hielten Händchen, wobei sie allerdings kniete. Wahrscheinlich funktionierte ihre Ehe auf genau dieselbe Art. Giorgio De Giorgio stand allein etwas abseits von den anderen. Nervös knetete er hinter dem Rücken seine Hände, vielleicht
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