Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)
Schnee, aber das Hotel kam immer näher. Von Hubers Herberge erschallte fernes Gelächter, vom Luchs war momentan nichts zu hören.
Als er das Fauchen des Tieres schließlich deutlich hinter sich vernahm, war Simon bereits in Sicherheit.
Die Lichter des Hauses gaben ihm Schutz, denn der Luchs scheute die Helligkeit. Simon stürzte sich durch das offen gelassene Fenster in seinen Keller, wobei eine Menge Schnee und Dreck mit hinein gerieten, und schloss es. Der Luchs blieb draußen. Simon war gerettet.
Er ließ sich für einen Moment auf den Boden fallen und lehnte sich schwer atmend an die Mauer des Kellers.
Was für eine Katastrophe! Sein Freund lag tot in der Schlucht, unerreichbar für Simon, und er selbst war auch nur knapp dem Tod entkommen. In der Nacht war es unmöglich, in die Schlucht zu gelangen und jemanden zu bergen. Das war schon bei Tage äußerst gefährlich und schwierig und nur dem Bergrettungsdienst möglich.
Und wahrscheinlich war Lukas sogar ermordet worden. Aber warum? Und wer hatte das getan? Für einen Moment hatte Simon geglaubt, der Luchs könnte Lukas in die Schlucht gejagt haben, wie er es heute fast mit Simon getan hätte, aber dann erinnerte er sich an das Kellerfenster, das von außen mit Gewalt geöffnet und nur notdürftig wieder geschlossen worden war. Das war Menschenwerk. War ein Einbrecher hier gewesen und Lukas hatte ihn aus Versehen überrascht? Aber dann müsste etwas fehlen oder zumindest andere Zeichen auf einen Einbruch hindeuten. Simon stand auf und suchte den Keller ab. Nichts fehlte. Kein teurer Wein, kein guter Schinken. Es war alles noch da. War der Einbrecher etwa bis in sein Büro gekommen und hatte dort Unterlagen gestohlen? Geld würde er auch dort nicht finden. Es gab hier nichts, was es sich zu stehlen lohnte.
Und wenn es gar kein Einbrecher war, sondern jemand, der es extra auf Lukas abgesehen hatte? Jemand, der nicht wollte, dass er heute auftrat und den Silvesterabend zu einem Erfolg werden ließ?
Der Gedanke war absurd. August Huber war zwar ein ernstzunehmender Rivale, aber einen Mord traute Simon ihm trotzdem nicht zu. Oder doch?
Simon zitterte wieder. Was hatte Huber nur mit seinem Freund angestellt? Er musste unbedingt die Polizei rufen.
Er verließ den Keller, schloss die Tür hinter sich und stieg in seine Wohnung im Erdgeschoss hinauf. Er setzte sich an den Schreibtisch und nahm das Telefon vom Hörer. Doch als er die Nummer der Polizei wählen wollte, bekam er kein Freizeichen. Er bekam überhaupt kein Zeichen. Er wählte eine andere Nummer, doch wieder nichts. Das Telefon war tot.
Eine Gänsehaut kroch über Simons Rücken. Was war hier los?
Aus dem Salon konnte er das Stimmengemurmel der Gäste hören. Die Stimme von Fritz Wupke, dem Mann aus Berlin, dröhnte über alle anderen hinweg.
Simon wählte noch einmal die Nummer der Polizei, doch es hatte sich nichts geändert – das Telefon blieb tot.
Leiche mit Echtheitszertifikat
Fritz Wupke mochte das Outfit, das er heute trug. Der Anzug stand ihm ausgezeichnet, und der falsche Schnauzbart, den er früher im wirklichen Leben als echten Schnäuzer tagtäglich getragen hatte, passte wunderbar dazu. Er sah aus wie der echte Hercule Poirot, fand er. Schnieke, lässig, ein Mann von Welt. Bereit, der King dieses Abends zu sein.
Dass die Schuhe von einem Billig-Anbieter waren, würde sowieso keiner bemerken, und dass der Anzug nur geliehen war, weil er sich so einen Fetzen von seinem bisschen Arbeitslosengeld nicht leisten konnte, blieb sein Geheimnis.
Fritz Wupke sah sich überlegen lächelnd um. Die hatten doch alle keine Ahnung hier in dem Raum. Mona Winter, die oberschlaue Alte, würde sich noch umschauen. Und Cleopatra Schäfer, die sich für den schönsten Hercule Poirot im Haus hielt, sie würde vor Scham im Boden versinken, wenn er mit ihr fertig war. Sie alle würden sich noch so wundern, die ganze eingebildete Truppe. Er war hier der King, sonst niemand, und bald würde es endlich jeder mitkriegen. Fritz Wupke grinste selbstgefällig, als er sich ein weiteres Glas Sekt von dem kleinen Tisch nahm. Es wurde aber auch Zeit, dass er dem Gastgeber mal ein bisschen einheizte. Die Gäste hier so lange warten zu lassen, bis das nächste Rätsel kam, war eine Frechheit, die sich keiner bieten lassen konnte. Und erst recht nicht Fritz Wupke.
Er kannte das Wort »intelligent« durchaus, sogar sehr gut. Genau sechsundsiebzig Mal hatte er es bereits geschrieben, nämlich in seinen sechsundsiebzig
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