Eine Liebe in Paris
seidenes Tuch um den Hals. Biederer ging es nicht, aber dennoch sah sie einfach gut aus, ja, sie wirkte sogar richtig sexy, aber eben auf eine kühle und selbstbewusste Art und Weise, bei der sie keine Haut zeigen musste.
Camille bog in einen Gang ein und machte vor einer grün gestrichenen Tür halt.
»Wir sind da. Mach du auf, es ist ja dein Zimmer«, forderte sie mich auf und trat beiseite. Ich drückte die Klinke herunter und schloss die Augen. Einen Monat würde ich es hier schon aushalten. Oder vielleicht durfte ich, wenn es allzu schlimm war, auch hier die Wände anmalen? Die Lefebvres könnten das Gemälde dann behalten, und wenn ich später eine berühmte Malerin war, konnten sie es allen zeigen.
(»Oh ja, Sie kennen doch Ava Hofmann, nicht wahr? Sie ist eine Freundin aus alten Tagen, und sie hat dieses Bild für uns gemalt, als sie noch unbekannt war. Ist es nicht ungeheuer ausdrucksstark? So viel Kraft in ihren Farben.«)
Camilles Stimme riss mich aus meinen Tagträumen.
»Wie findest du es?«
Ich sah mich um und vergaß, dass ich hatte höflich sein wollen. Das Zimmer war wunderschön eingerichtet, die Wände waren weiß gestrichen, der Boden mit honigfarbenem Parkett ausgelegt und alles – Bett, Schreibtisch und Stuhl, ein kleiner Fernseher, das Bücherregal und der bequeme Sessel – cool. Anders kann ich es nicht sagen: einfach cool.
»Gefällt es dir?«, fragte Camille mich und ich hörte die Nervosität in ihrer Stimme.
»Hm, ja. Sehr nett«, sagte ich knapp.
»Da bin ich aber erleichtert. Es gibt da diesen Designerladen auf dem
Boulevard Montparnasse
und Papa hat mich alles für dich aussuchen lassen. Aber die meisten Sachen habeich beim Trödler und auf dem Flohmarkt gefunden, denn so einfach im Laden kaufen kann ja jeder. Du hast hier oben übrigens auch W-Lan. Hast du deinen Laptop dabei?« Ich nickte und Camille sagte weiter: »Also, ich lasse dich jetzt auspacken, okay? Fühl dich wie zu Hause. Wenn du fertig bist, dann komm wieder runter in den Salon. Wir warten mit dem
Apéritif
auf dich.«
»Danke.«
»Nichts zu danken. Du sollst dich hier ja wohlfühlen.«
»Camille?«
»Ja?« Sie drehte sich um und sah mich abwartend an.
»Steht deine Mutter hier im Haus den Malern Modell?« Irgendwie ließ es mir keine Ruhe, dass ich diesen Maler Wolff nicht kannte.
Camille legte ihre Hand auf den Türknauf. »Hat sie dir erzählt, dass sie gerade Modell steht?«
»Ja. Diesem Wolff, der anscheinend einer der erfolgreichsten jungen Maler in Frankreich ist.«
»In Frankreich und auch international. Du kennst ihn nicht?«
»Nein. Gefallen dir seine Sachen?«
Camille zögerte mit ihrer Antwort. »Er ist sicher ein begnadeter Künstler. Und sehr von sich überzeugt, aber das muss man wohl sein, um Erfolg zu haben.«
»Er soll in deine Schule kommen, hat deine Mutter gesagt.«
»
Unsere
Schule. Ja, er kommt nächste Woche in den Kunstunterricht. Alle sind schon furchtbar auf ihn gespannt.«
Sie sprach das
Alle
mit einer seltsamen Betonung aus. Es klang demonstrativ gelassen und abweisend, doch ich reagierte nicht darauf. Wenn jemand wie dieser offensichtlich sehr berühmte Maler in den Kunstunterricht kam, war es doch klar, dass alle auf ihn neugierig waren, oder etwa nicht?
»Meinst du, ich darf auch in der Stunde dabei sein? Deine Mutter wollte den Direktor fragen.«
»Wenn meine Mutter ihn fragt, dann darfst du das sicher. Der Mann, der meiner Mutter etwas abschlägt, ist noch nicht geboren.«
»Vielleicht treffen wir Wolff ja schon eher, wenn deine Mutter ihm hier Modell steht.«
Camille schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Mutter geht immer allein zu ihm.« Sie sah auf die Uhr an ihrem schmalen Handgelenk. »Ich muss jetzt an meinen Schreibtisch und vor dem Abendessen noch Hausaufgaben machen. Wir schreiben morgen einen Chemietest.«
»Ist doch egal, wenn du den verhaust. Du wirst doch eine ebenso berühmte Tänzerin, wie deine Mutter es war. Dann brauchst du keine gute Note in Chemie mehr«, sagte ich herausfordernd.
Camille lächelte traurig. »Meinst du? Ich bin mir nicht so sicher. Was, wenn es nicht klappt und ich die Aufnahmeprüfung erst gar nicht bestehe? Dann muss ich von etwas anderem leben. Da lerne ich lieber heute Abend noch.«
Bevor ich ihr antworten konnte, hatte sie schon das Zimmer verlassen, und ihre eiligen Schritte verhallten im Gang.
Wie konnte man nur so vernünftig sein? Nun ja, immerhin war sie nicht das pferdevernarrte, in rosa Tüll gehüllte, immerzu
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