Eine Liebe in Paris
kichernde Mädchen, das ich mir vorgestellt hatte. Sie hatte definitiv mehr drauf, als ich gedacht hatte. Gerade das machte sie mir aber nicht sympathischer. Ob sie je im Geheimen rauchte? Oder auch mal mit ihren Freundinnen eine Flasche Rotwein kippte? Und am allerwichtigsten und am allerinteressantesten: Ob die Schmetterlinge schon einmal in ihrem Bauch geflattert hatten? Sicher nicht. Bei all ihrer Ausstrahlung wirkte sie dennoch wie eine Nonne. Pft. Vierzehn und noch ungeküsst, ich wusste ja, wie das war und fühlte mich Camille nun dank Mogens ungemein überlegen. Es war schön, einen Freund zu haben, der einen anbetete, auch wenn man ihn selbst nicht für den Mann seines Lebens hielt. Wie viel Spaß konnte man als Primaballerina in spe schon haben?
Ich blickte hoch zu dem in das Dach eingelassenen Fenster. Der Himmel über Paris war nun rauchfarben, ob wegen der Abendstunde oder wegen des Smogs, konnte ich nicht sagen. Mal sehen, was ich von dort aus alles entdecken konnte. Ich zog den Stuhl vom Schreibtisch weg, schob ihn unter das Oberlicht, stieg darauf und ging auf die Zehenspitzen. Oh wow! Das hatte ich nicht erwartet: Ich war auf dem
Montparnasse
an einer der höchsten Stellen von Paris und in meinem Zimmer hier hoch über den Dächern der Stadt. Ein Gebirge von anderen grauen Dächern mit Tausenden und Abertausenden kleinen Fenstern tat sich vor meinen Augen auf. ImWesten funkelten die Lichter des Eiffelturms und etwas weiter rechts erblickte ich große Glaskuppeln und ein Riesenrad. Dort mussten der
Place de la Concorde
und dann der
Louvre
liegen. Die Stadt schien in grauen Wellen zu verlaufen. In der Ferne leuchtete nun auch
Sacré Cœur
aus dem Abendnebel auf. Überall funkelten Lichter, und es sah aus, als ob Millionen von Glühwürmchen tanzen gingen.
Wie lange ich dort auf meinem Stuhl unter dem Fenster stand und hinausschaute, weiß ich nicht mehr. Ich versuchte, diesen unglaublichen Anblick in mich aufzusaugen. Daheim in unserem Einfamilienhaus in dem grünen stillen Viertel von Augsburg hatte ich nie vermutet, dass es so etwas wie diese Stadt gab, und merkte doch, wie durstig ich danach gewesen war, gestand ich mir ein. Meine anfängliche Ablehnung und das kurze Zögern, das ich am Flughafen noch verspürt hatte, waren schon so lange her und wie weggeblasen. Ich war in Paris. War es denn zu fassen? Und ich wohnte in dem coolsten kleinen Zimmer hoch unter dem Dach eines wunderschönen Hauses mitten im ehemaligen Künstlerviertel –
war es denn zu fassen???
Vor Vergnügen hätte ich laut schreien und in die Luft boxen können, aber stattdessen biss ich mir auf den Handrücken. Und kommende Woche traf ich noch dazu einen Maler und nicht nur irgendeinen, sondern den erfolgreichsten Künstler Frankreichs. Ich musste ihm unbedingt einige meiner Skizzen zeigen, entschied ich und sprang vom Stuhl, ehe ich mein Bild in dem großen, einfach an die Wand gelehnten Spiegel bemerkte.
Was sollte ich nur anziehen, wenn dieser Wolff in die Schule kam? Ich drehte mich einmal um mich selbst. So lang wie Camilles Beine waren meine nicht, und mein Hintern war auch nicht so klein und fest wie ihrer, aber ich würde an dem Tag besser aussehen als sie, so viel stand für mich jetzt schon fest. Das war mein Stichwort, um endlich auszupacken.
Ich zog meinen Koffer in die Mitte des Raums und ließ den Verschluss aufschnappen, sodass er sich wie ein Buch nach beiden Seiten hin öffnete.
»Also, mal sehen«, sagte ich, als ich mir den ersten Stapel T-Shirts griff und begann, meine Kleider in den Schrank neben dem Bett einzuräumen.
»Ah, da bist du ja. Rühr doch noch eine
Vinaigrette
für den Salat an, ja?«, sagte Marie, als ich die Küche betrat. Sie selber stand an einem Tisch in der Mitte des Raumes und mischte gerade Kartoffeln, Oliven, Tomaten, grüne Bohnen und hart gekochte Eier zusammen. Camille saß auf einem Barhocker an der Theke und schnitt Zitronen.
»Eine was?«, fragte ich erstaunt.
Marie lachte. »Entschuldigung. Ich meinte eine Salatsoße. Wir essen frischen
Niçoise
, der braucht ein gutes, starkes Dressing. Henri hat einen neuen Fischhändler hier im
Quartier
gefunden, der den besten Thunfisch von Paris verkauft. Hier, riech mal daran!«
Sie hielt mir ein in weißes Papier eingeschlagenes Paket entgegen, das ich nahm und auswickelte. Darin lagen tief-rotund blutig und mit blau-silbern schimmernden Adern durchzogen vier dicke Scheiben Thunfisch. Sie sahen so roh nur eklig aus, obwohl ich Sushi
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