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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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sich in privaten, familiären Bereichen immer häufiger beobachten. In vielen Bereichen von Wirtschaft und Politik jedoch dominiert nach wie vor die »Männlichkeit« im traditionellen Sinn. Allerdings gibt es zunehmend mehr Frauen, die sich nicht mehr anpassen, die sagen: ›So geht es nicht mehr weiter!‹ Wenn aber bestimmte Verhaltensweisen nicht mehr wie eine fraglose Selbstverständlichkeit in einer Kultur gültig sind, können sie auch nicht mehr so bruchlos übernommen werden. Frauen und Männer können nicht mehr so sein wie vor dreißig oder vierzig Jahren. Es ist höchste Zeit, die überkommene gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau zu durchbrechen.

    Das Gespräch führte Meinhard Schmidt-Degenhard

III.
    Individuelle und kollektive Trauer
    Trauer und angrenzendes seelisches Erleben
    Persönliche Erinnerung
    Gefragt nach meiner frühesten ganz persönlichen Erinnerung an Tod und Trauer, fällt mir merkwürdigerweise etwas ein, was mit Tod wenig, aber mit Verlust viel zu tun hat. Das ist alles sehr kompliziert. Mein Vater war schon ungefähr 50 Jahre alt, als ich geboren wurde, und er war damals schon krank. Als Landarzt hatte er ein sehr anstrengendes Leben. Mein Großvater war ein national gesinnter Däne, der nach der Wiedervereinigung 1920 auf der deutschen Seite, in Flensburg, eine Bank für die dort lebende dänische Minderheit gründete, was quasi eine Ehrensache für ihn war. Als mein Großvater starb, war das der erste Todesfall, an den ich mich erinnere, er war schon 97 Jahre und ich sechs oder sieben Jahre alt. Sein Tod war weniger mit Trauer als mit freundlicher Erinnerung an diesen sehr sympathischen Mann verbunden. Nach seinem Tod übernahm ein Vetter meines Vaters die Bank, der dazu offenbar unfähig war, jedenfalls ging die Bank pleite. Mein Vater verlor nicht nur sein Geld, sondern seinem Erleben nach auch seine Ehre. Außerdem war er nicht mehr jung, hatte fünf Kinder und war, wie gesagt, krank. Er reagierte mit einer schweren Depression. Das hat mein Leben sehr beeinflusst, weil ich erkannte, dass auch Eltern nicht unzerbrechlich sind. Ich erinnere nur, wie mein Vater seinen Kopf auf den Esstisch legte und anfing, bitterlich zu weinen. Das erschütterte mich zutiefst. Da wusste ich, sicher bist auch Du nirgendwo.
    Als ich meinen Mann verlor, war ich schon 65. Mein Mann war über viele Jahre krank. Es war ein langer Abschied. Der schmerzliche Prozess begann, als ich erkannte, wie krank er war. Es war schwer und hat Jahre gedauert, bis ich gelernt hatte, das zu ertragen. Denn ich verlor die Möglichkeit des Gesprächs mit dem Menschen, mit dem mich das Gespräch als wesentlicher Teil unseres Lebens verband. Hat mir da mein Beruf genutzt? Ich weiß es nicht, obwohl ich meinen Beruf doch gewählt habe, weil Einfühlung in mich und andere etwas war, das mir lag und mich interessierte, solange ich denken kann. Schon in früher Kindheit war die nicht seltene Traurigkeit meiner Mutter etwas, das ich unbedingt ergründen musste. Die Angst vor dieser Traurigkeit stand im Zentrum meines kindlichen Lebens. Meine Mutter bekam oft Migräne, und ich wusste, diese Migräne hat irgendetwas damit zu tun, dass sie eine Sehnsucht überfiel, die nicht mehr erfüllt werden konnte. Dies zu wissen war für mich sehr schmerzhaft.
    Das Traurig-Sein anderer stößt ähnliche Gefühle in uns selber an, denen wir aber entfliehen möchten. Diese Gefühle zu ertragen lernt man vielleicht in meinem Beruf etwas besser. Natürlich geht in einem Psychoanalytiker nichts anderes vor als in jedem anderen Menschen auch. Aber eins ist klar: Psychoanalytiker haben gelernt, sich mit ihren Gefühlen, Phantasien, Verhaltensweisen zu konfrontieren. Bevor sie diesen Beruf ergreifen und Psychoanalysen durchführen, hat jeder von ihnen selber eine Analyse durchgestanden. Ich bin jetzt 76 Jahre alt, aber ich meine, mich daran zu erinnern, was und wie ich als Kind und als Jugendliche gefühlt habe. In der Nazizeit habe ich enge Freunde verloren, und die Traurigkeit gehörte quasi zum Leben. Schon relativ früh habe ich daher gelernt, traurige Menschen zu ertragen. Sich solchen Gefühlen zuzuwenden gehörte später unabdingbar zu dem Beruf, den ich mir gewählt hatte.
    Wenn wir gelernt haben, unsere Gefühle wahrzunehmen, nehmen wir auch unsere Gefühle dem Patienten oder der Patientin gegenüber wahr und erfahren aus der Art, wie wir innerlich reagieren, manches von dem, was die Patienten bewegt. Auch in der eigenen
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