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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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Analyse sind wir mit der Ambivalenz in unserer Gefühlswelt so oft konfrontiert worden, dass diese Seite unserer selbst uns nicht mehr schockiert, wie es jedoch einem Menschen ergeht, der sich erstmals mit Gefühlen bei sich auseinandersetzt, die er ablehnt und deswegen verdrängen muss.
    Ambivalenz
    Wenn wir jemanden verloren haben, kann das einen unerträglichen Schmerz auslösen. Wir wissen aber, jedem Erwachsenen, oft auch Kindern, stehen wir ambivalent gegenüber. Trotz allem Schmerz wegen deren Tod spüren wir manchmal eine merkwürdige Erleichterung, die uns peinlich ist. Nicht nur ich habe während des Krieges ein Gefühl des Triumphs erlebt, verbunden mit ausgesprochenen Schuldgefühlen, wenn ich nach einem Bombenangriff am Leben geblieben war, obwohl viele andere starben. Sigmund Freud hat in seiner Arbeit Trauer und Melancholie [89] die Folgen solcher Ambivalenzgefühle nach Verlusten dargestellt. Sie sind manchmal die Ursache dafür, dass sich eine Melancholie entwickelt. Die Melancholie wird abgelöst durch eine manische Phase, für die Triumphgefühle bekannt sind.
    Zur Trauerarbeit gehört der Umgang mit Ambivalenz. Je stärker die Abwehr gegen das Wahrnehmen solcher zwiespältiger Gefühle, um so größer ist die Gefahr, dass die Trauer in Melancholie umschlägt. Das Gefühl der Erleichterung muss verdrängt werden, denn es macht unerträgliche Schuldgefühle. Die an den Toten gerichteten Anklagen werden gegen das eigene Ich gekehrt, die Selbstanklagen der Depressiven sind bekannt. Ein Tier kann sich zwar erinnern, wenn es sich dem Gegenstand oder der Umgebung, die ihm bekannt ist, unmittelbar gegenüber befindet, es kann aber so wenig wie ein sehr kleines Kind Erinnerungen willentlich hervorrufen. Erst in einem bestimmten Alter vermag ein Kind sich an sein eigenes Verhalten zu erinnern, daran, weshalb es sich so verhalten hat und wie die Ereignisse damals verlaufen sind.
    Diese Art Erinnerung gehört zur Trauerarbeit. Sie ist ein spezifisch menschlicher Prozess, mit dem wir während unseres Lebens immer wieder konfrontiert sind. Wir müssen immer wieder Abschied nehmen von den verschiedenen Phasen unseres Lebens, von der Kindheit, von der Jugend, und müssen lernen, für uns selber verantwortlich zu werden. Das alles geschieht durch Trauerprozesse. Wenn wir ins mittlere Alter kommen, gilt es, die Midlife-Crisis zu bestehen, vom Alter und seinen Abschieden ganz zu schweigen.
    Wut
    Abschied zu nehmen von verschiedenen Lebensphasen, Abschied von einem Partner, der sehr krank ist, ist schwer. Lange habe ich mich gewehrt zu erkennen, dass der unmittelbare Kontakt mit meinem Mann nicht mehr wie früher möglich war. Nur, wenn dann die Endgültigkeit des Abschieds unabweisbar geworden ist, kann man sich innerlich noch so sehr dagegen wehren und weiß doch, wie aussichtslos es ist, sich zu weigern. Oft kämpft man dann mit anderen Menschen, für andere Dinge und Inhalte, um irgendetwas zu haben, womit man sich noch auseinandersetzen kann. Die Wut ist ohne Zweifel ein Teil der Trauer. Dieses Hadern mit seinem Schicksal ist bekannt, gerade auch dann, wenn Eltern ein Kind verlieren; das darf doch einfach nicht wahr sein. Ich erinnere mich auch an die Wut, die uns während der Nazizeit überwältigte, während des Krieges mit seinen unsinnigen Toten, seinem qualvollen Sterben. Das war keine stille Trauer, vielmehr eine hilflose Wut. Wut gehört sicherlich zur Trauer.
    Ich neige wenig zu Idealisierungen. Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass ich eigentlich seit vielen Jahren niemanden mehr idealisiert habe. Das bedeutet nicht, dass ich ihn oder sie nicht geliebt habe. Für mich gehört eine Idealisierung nicht zur Liebe, aber vielleicht ist das eine Idealisierung meiner selbst. Verklärung der Verstorbenen beobachtet man oft. In ihr ist auch die Wut darüber abgewehrt, verlassen worden zu sein. Zwar gehört es zu meinem Beruf zu versuchen, sich über Illusionen im Klaren zu werden, über solche, zu denen man selbst neigt, wie auch über Illusionen bezüglich anderer Menschen, die man verloren hat. Aber unabhängig davon habe ich es eigentlich als Verpflichtung empfunden, Menschen, die mir nahestanden, nicht zu verklären, vielleicht um sie nicht zu verlieren.
    Viele Menschen werden melancholisch, weil wir auch wütend auf die Verstorbenen sind, darauf, dass sie uns verlassen haben. Ungeschützt wird man alleingelassen. Nur, was kann man mit dieser Wut anfangen? Sie zu äußern ist unmöglich. Wem seine Wut
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