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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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bestimmt keinen Schmerz bereitete, und anfangs tat sie es, ohne sich etwas dabei zu denken. Dann fiel ihr eines Tages der Ausdruck in seinen Augen auf, und sie hielt inne; immerhin verteidigte sie sich: »Wie kämen wir denn sonst zu Fleisch, William?«
    Er schämte sich. »Ich weiß, aber irgendwie mag ich es nicht, Ruth. Du solltest es nicht tun – du bist eine Lebensspenderin!«
    Sie wußte nicht, was sie sagen sollte; deshalb schwieg sie. Aber von diesem Tage an richtete sie es so ein, daß er nicht sah, wenn sie ein Huhn umbrachte.
    Nun bemerkte sie in bezug auf den Schmetterling: »Vielleicht kann ich ihm die Flügel mit Terpentin putzen.«
    »Ja, mach das«, antwortete er dankbar. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«
    Er war so verstört, daß sie es für zwecklos hielt, jetzt mit ihm zu reden. Sie nahm den Schmetterling in ihre Schürze und ging den Hang hinunter.
    Wenn Hal am Abend heimkam, wollte sie ihm eine Tracht Prügel geben, dachte sie. Jemand mußte ihn vornehmen.
    William konnte nicht weiterarbeiten. Er hatte auf Ruths Antlitz den Ausdruck wahrgenommen, den er nie ganz begriff. Es war ein nachsichtiger, duldsamer Ausdruck, in den sich ein wenig Auflehnung mischte, wenn er etwas äußerte oder tat, das über ihr Verständnis ging. Er fragte sich, ob sie ihn wohl verachtete. Darum näherte er sich ihr bisweilen mit Mißtrauen. Aber nie, nie ließ sie in ihrer warmen Bereitschaft nach. Das war ihre Größe: wie er auch sein mochte, wann immer er von ihr fortging, er konnte in dem sicheren Gefühl zurückkehren, daß sie sich nie wandelte. Er kehrte zu ihr zurück und verlor sich in ihr, verlor an sie sein Wesen, dessen Stimmungen, Ziellosigkeit, Schwermut und seltsame, endlose Tatkraft er so oft als Last empfand. Sie verstand ihn nicht, aber er suchte auch kein Verstehen.
    Beim letzten Wiedersehen mit Elise, im Februar war es gewesen, in seinem Elternhaus, hatte sie ihn in der halb direkten, halb indirekten Art und Weise, in der sie seit ihrer Verheiratung miteinander sprachen, gefragt: »Findest du bei deinem Leben eigentlich Verständnis?«
    Er hatte ihre Frage sorgfältig überlegt. »Sagen wir lieber, ich finde … was ich mir wünsche.«
    Denn er wünschte sich eigentlich kein Verständnis, auch keine Kameradschaft. Längst wußte er, daß er sich am glücklichsten fühlte, wenn er allein war, am glücklichsten, weil er dann am freiesten war. Er wünschte sich keinen Geist, der dem seinen folgte, auch keine Vorstellungskraft, die mit der seinen Schritt hielt. Wäre er mit Elise verheiratet gewesen, so hätte er unwillkürlich Mittel und Wege gesucht, ihr auszuweichen. Ruth hingegen brauchte er gar nicht auszuweichen, denn er konnte sie allein lassen, wann es ihm paßte, konnte sich geistig von ihr entfernen, auch körperlich, wenn es ihm beliebte, obzwar er jetzt sein Haus immer seltener verließ. Er brauchte sie körperlich nur selten zu verlassen, weil er sie geistig verließ, wann es ihm paßte. Er mußte bloß in sein Atelier gehen oder diesen Hügel erklettern; er mußte nur seinen Pinsel in die Hand nehmen, und er war meilenweit entfernt. Elise aber wäre, wenn er sie geheiratet hätte, nicht von seiner Seite gewichen, und meistens konnte er niemanden neben sich ertragen.
    Dann jedoch, wenn der unvermeidliche Augenblick kam, wenn er der Einsamkeit überdrüssig war, sich vor der Einsamkeit fürchtete, weil das Weltall der einsamen Seele weit ist dann brauchte er nur sein Zimmer zu verlassen oder den Hügel hinunterzugehen, den Pinsel fortzulegen und zu Ruth zurückzukehren. Und mit dieser Rückkehr kehrte er in das geschäftige Haus zurück, zum Duft frischgebackenen Brotes, zum Gelächter und Lärm der Kinder, zum Essen, das heiß auf dem Tisch stand, und zu Ruth, die stets für ihn da war. Oh, die Wonne der Nacht und der Trost ihres starken, warmen Leibes!
    Er blickte über die gewellten Hügel, die reichen Felder, die ragenden Kirchtürme kleiner, behaglicher Städte.
    ›Gott, was für ein Leben ich habe!‹ dachte er.
    In der Küche hob Ruth den Deckel vom Kehrichteimer und warf den Schmetterling zum Abfall. Dann machte sie sich wieder an die Arbeit; hinter ihrem verschlossenen Gesicht verbargen sich die Gedanken. Die Mädchen hatten Brombeeren gepflückt, jetzt kamen sie herein, und ohne überflüssige Worte gab Ruth ihre Anweisungen.
    »Tragt die Eimer in den Keller hinunter. Ihr könnt heute nachmittag beim Einmachen helfen. Wascht euch. Vater will alles fertig vorfinden, wenn

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