Eine Liebesehe
Bauersleute, die den Raum füllten, lauschten voll Ehrfurcht vor dieser Trauung. Sie waren recht freundlich gesinnt, aber es tat ihnen leid, daß Ruth einen Fremden heiratete, der sie entführte. Nach der Zeremonie drückten sie ihm förmlich die Hand und standen linkisch und schweigend herum, während sie Kuchen aßen und Wein tranken, wobei keiner der Scherze fiel, die sie gemacht hätten, wenn Ruth einen von ihnen geheiratet hätte. Die wenigen höflichen Bemerkungen, die sie William gegenüber äußerten, klangen zweiflerisch, als ob die Leute nicht sicher wären, was er zu ihnen sagen würde oder was er von ihnen erwartete.
Und William, innerlich gereizt, versuchte ihre Scheu durch sein eigenes Gelächter und seine Späße zu brechen. Es war nicht leicht, und er gab es endlich auf. Schließlich war bald alles überstanden. Er und Ruth reisten dann zusammen fort. Sobald er wieder in New York war, wollte er mit der Arbeit anfangen. Er wollte sie als Akt malen. Nie hatten ihn seine Aktbilder befriedigt. Berufsmodelle hatten keinen Körper – nur Figuren waren sie. Ihr Leib aber würde von Liebe belebt sein und all ihr silbernes Fleisch voller Licht. Er fiel in Schweigen, indes er daran dachte, und vergaß alles übrige. Und die Gäste gingen einer nach dem andern weg.
»Ein sonderbarer Bursche«, sagten sie. »Jedenfalls etwas ungewöhnlich«, fügten sie zweifelnd hinzu, und sie sprachen freundlich zu Ruth, weil sie ihnen so leid tat.
Zweiter Teil
Ruth hielt im Fegen inne und blickte zum Küchenfenster hinaus. Die blauen, aufmerksam glänzenden Augen betrachteten ihren vierzehnjährigen Sohn, der mit schneckenhafter Langsamkeit das Gras mähte.
»Hal!« rief sie durch das geöffnete Fenster.
»Ja, Mama?« rief er zurück. Sein rundes Gesicht, das sich ihr zuwandte, sah sehr betrübt aus.
»Wenn du nicht schneller machst, wirst du heute vormittag nicht mehr fertig werden!«
Er antwortete nicht. Seine Miene nahm den Ausdruck eigensinnigen Schmerzes an, und er beschleunigte seinen Schritt ein klein wenig. Ruth preßte die vollen Lippen zusammen und begann wieder tatkräftig zu fegen. Mary und Jill hatten ihr nie solche Sorgen bereitet wie Hal, obwohl sie stets danach trachtete, jeglichen Ansturm abzufangen, so daß William nicht gestört wurde. Aber sie wußte nicht, was sie mit Hal machen sollte. Schon als kleines Kind war er unruhig gewesen, und jetzt erwies es sich beinahe als unmöglich, ihn zu einer Arbeit anzuhalten. Früher hatte sie gemeint, diese Unruhe in ihrem einzigen Sohn müsse das Zeichen ungewöhnlicher Klugheit sein. Das hoffte sie noch immer, aber sie war nicht sicher. In der Schule war er faul, und seine Lehrer hatten nichts Gutes von ihm zu berichten.
»Harold scheint sich für nichts zu interessieren.« So lautete Jahr um Jahr in irgendwelcher Form das Urteil über sein Tun und Treiben. Manchmal versuchte sie zu ergründen, was hinter dem pausbackigen Knabenantlitz steckte. Wenn sie ihn vor sich hatte, ohne daß er ihr entwischen konnte, weil sie ihm einen abgerissenen Knopf annähte oder den verletzten Finger verband, sagte sie etwa zu ihm: »Hal, es wird Zeit, daß du ein bißchen darüber nachdenkst, was du tust und wie du dich benimmst. Hast du dir eigentlich schon überlegt, was du einmal werden willst, Junge?«
»Nein, Mama.« Die Stimme, die Worte waren sorglos.
»Aber warum denn nicht? Vater ist nicht reich.«
Darauf erwiderte er meistens nichts. Einmal aber hatte er gesagt: »Dafür ist Großpapa reich.«
»Das geht dich und mich nichts an, Hal«, entgegnete sie streng.
Aber Harold war eigensinnig. »Es liegt doch auf der Hand, da wir seine einzigen Enkelkinder sind …«
»Wo schnappst du nur solche Dinge auf?« fiel sie ein. »Zu Hause bestimmt nicht.«
»Drüben im Laden«, erklärte er. »Dort reden die Leute. Sie sagen, daß wir reich sein werden, wenn Großpapa stirbt.«
»Sie schwatzen dauernd«, versetzte sie bitter. »Sie schwatzen, bis ihnen die Zähne ausfallen.«
»Ist es denn nicht wahr?« fragte Hal.
»Wenn es wahr ist, so will ich auf jeden Fall nichts davon hören«, antwortete sie kurz angebunden.
Längst hatte sie beschlossen, William niemals, solange sie lebte, nach seinen Eltern, seinem Vaterhaus oder seinem früheren Dasein zu fragen. Manchmal brachte die Post Briefe für ihn, jetzt übrigens weniger oft, aber sie gab sie ihm ungeöffnet, und er steckte sie in die Tasche. Nie sah sie ihn die Briefe lesen. Allerdings hielt er sich den größten
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