Eine Liebesehe
nach. Worin bestand die Gabe der ewigen Frische, die sie hatte? Mit ihrem Geist hatte das nichts zu tun. Er kannte jeden Gedanken, den sie jemals gedacht oder jemals denken würde. Sie konnte ihn mit keinem Wort, das sie äußerte, überraschen. Aber mit der Frische ihrer Gegenwart erstaunte sie ihn fortwährend. Vielleicht lag es nur daran, daß er sie gewöhnlich vergaß, wenn sie nicht bei ihm weilte, und sah er sie dann wieder, so war es immer eine Heimkehr. Vielleicht lag es daran, daß sie sich beständig veränderte, je nach den kleinen Ereignissen ihres Tageslaufs. So umrahmte jetzt die Wut ihre Schönheit mit Elektrizität. Ihr Haar sprang von der Stirne zurück, ihre Augen waren weit aufgerissen und wetteiferten mit dem Himmel; ihre zornigen Lippen waren dunkelrot und teilten sich, so daß sie die gesunden weißen Zähne sehen ließen.
Er lachte. »Komm her und laß dich küssen«, rief er ihr zu.
Im selben Augenblick aber klebte ein Schmetterling, der auf das Bild zugeflogen war, an der Ölfarbe fest. Da vergaß William alles.
»Oh, der arme Tropf!« schrie er in rascher Bestürzung auf. »Schau nur, Ruth! Was kann man da machen? Seine Flügel sind hin!«
Sie trat sogleich näher und hob den Schmetterling mit einer Haarnadel, die sie aus ihrem Haar zog, behutsam von der Farbe.
»Hat er das Bild verdorben?« fragte sie ängstlich.
»Oh, deshalb mach dir keine Gedanken«, gab er zurück. »Wie können wir seine Flügel säubern?«
»Wir können gar nichts tun«, erklärte sie sachlich.
Sie setzte den Schmetterling ins Gras. William beugte sich über ihn.
»Ach, sieh bloß, er zittert«, sagte er bewegt.
»Laß nur. Ich werde ihn ins Haus nehmen. Vielleicht fällt mir etwas ein.« Sie hatte vor, das Tier heimlich zu töten, ohne daß er es sah.
Viele Geschöpfe mußte sie heimlich töten, ohne daß er etwas davon merkte – Mäuse im Hause, Ratten in der Scheune, einen kranken Hund, ein verletztes Vögelchen, junge Kätzchen, die sie nicht behalten konnten. Das hatte sie vor vielen Jahren eines Tages erkannt, als sie, ohne weiter zu überlegen, vier blinde Kätzchen in einen Sack steckte und einen Stein daran band. Zufällig hatte er aus dem Fenster des Zimmers, das er sich als Atelier eingerichtet hatte, hinausgeschaut, und er war die Treppe hinuntergerannt und hatte ihr zugerufen: »Ruth, was machst du da?«
Verwundert über seine Erregung blickte sie über die Schulter zurück. »Ich will nur die Kätzchen ertränken, weiter nichts.«
»Ertränken?« Sein Gesicht wurde grau.
»Warum denn nicht?« versetzte sie.
Zu ihrem Schrecken wandte er sich ab, lehnte sich an einen Baum und vergrub den Kopf in den Armen. Sie legte den Sack mit den wimmernden Kätzchen auf den Boden.
»Aber was ist denn los, William? Willst du, daß ich es nicht tue? Wir haben doch mehr Katzen in der Scheune, als wir brauchen können. Sechs Katzen, wenn wir alle leben ließen.«
»Natürlich«, sagte er. Er stand mit hängenden Armen da und starrte auf die wimmernde Masse.
Sie sah, daß ihm elend zumute war.
»Schau, William, ich lasse sie ja heraus.«
»Wirklich?« Sein Gesicht erhellte sich. »Das ist recht, laß sie heraus. Wart, ich helfe dir.«
Er bückte sich und knüpfte die Schnur auf, während sie den Sack hielt. Die kleinen Geschöpfe krochen heraus, und die rasende Katzenmutter, die sie hörte, kam fauchend durch den Garten herbeigeschossen. Er sah ihr zu, wie sie ihre Jungen leckte, sich hinlegte und ihnen die Zitzen bot. Sogleich saugten sie befriedigt, und die Katze schnurrte und betrachtete sie mit anmaßendem Mutterblick.
»Sieh nur, wie stolz sie ist«, sagte er lachend.
Ruth antwortete nicht. Trotzdem müssen die Kätzchen getötet werden, dachte sie. Sie konnten nicht Hunderte von Katzen haben. Sie wollte es später tun, wenn er fort war.
Nachdem sie es getan hatte, fragte sie sich, ob er wohl die Kätzchen vermissen oder das Suchen und Jammern der Mutterkatze bemerken würde. Aber nein, er merkte nichts, und das überraschte sie wiederum. Nicht daß er die Katzen besonders liebte. Er fütterte sie nie und schenkte ihnen in der Tat nicht die geringste Beachtung. Sie folgerte daraus, daß er es ganz einfach nicht sehen konnte, wenn Tiere getötet wurden, und danach richtete sie es so ein, daß alle immer nur in seiner Abwesenheit umgebracht wurden, auch die Hühner, die auf den Tisch kamen. Denn auch das sah er nicht gern. Sie konnte einem Huhn ganz schnell den Hals umdrehen, was dem Tier
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