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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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Landstraße gemacht, und der betagte Mann war beim Überqueren der Straße von einem Lastwagen überfahren worden. Er zählte damals einundachtzig Jahre. An jenem Morgen hatte er mit seinem üblichen Behagen gefrühstückt und, seinen abgetragenen Strohhut aufsetzend, wie stets zu Ruth gesagt: »Ich glaube, ich geh ein bißchen spazieren.«
    »Schön, Papa«, hatte sie geantwortet.
    William, der wie gewöhnlich spät hinunterkam, um nicht mit dem schwatzhaften Alten frühstücken zu müssen, erschien gerade in dem Augenblick, als ein kräftiger junger Mann, ein Fremder, eine verkrümmte Gestalt auf den Armen hereintrug und im Salon aufs Sofa legte. Da lag der alte Harnsbarger; sein Gesicht war unberührt, aber der dünne Körper hatte mehrere Brüche erlitten.
    Und William hatte sich geschämt, weil in diesem Augenblick sein erster Gedanke – den er zwar sogleich verjagte – der war daß er das Haus nun so umgestalten konnte, wie er es haben wollte.
    Er mußte das, was er besaß, so verändern, wie er es haben wollte, seit er wußte, daß er sich Ruths Welt anzupassen hatte, weil sie sich der seinen nicht anpassen konnte. Ob sie es nicht wollte oder nicht konnte, das erfuhr er wohl niemals, da er keine Fragen stellte. Wenn sie unglücklich gewesen wäre, hätte es gar keine Rolle gespielt, woran es lag. Ihr das Glück zu erhalten, das war für sein eigenes Glück wesentlich. Und weil sie nie eine Klage äußerte, hatte er seine Wahrnehmungsfähigkeit für jede Veränderung in ihrem Ausdruck und ihrer Stimme geschärft. Wenn er zu ihr zurückkehrte, mußte er sie zufrieden finden. Ihre Zufriedenheit war die Atmosphäre seiner Seele.
    »Ist das Essen fertig?« rief er fröhlich in der Diele.
    Ruth kam aus der Küche. Ihre Hände waren mehlbestäubt, und sie sah besorgt aus.
    »Hast du dich nicht ein wenig verfrüht, William?« fragte sie. »Ich mache gerade die Biskuits.«
    »Es eilt nicht«, sagte er rasch. »Ich muß noch die Pinsel waschen. Hat der Schmetterling sich erholt?«
    »Der Schmetterling?« Dann erinnerte sie sich. »Ich habe ihn wieder in Ordnung gebracht«, erklärte sie ruhig. »Er flog wie neugeboren davon.« Schon längst hatte sie es mit ihrem Gewissen abgemacht, daß sie alles so darstellen mußte, wie es für Williams Behaglichkeit tunlich schien.
    »Das ist gut«, antwortete er dankbar. Er sah seine Töchter aus dem Keller auftauchen und wartete auf sie. »Guten Tag«, sagte er.
    »Guten Tag. Vater«, gab Mary zurück.
    Jill sagte nichts.
    »Kommt und gebt mir einen Kuß«, rief er.
    Freudig kamen sie zu ihm und legten die Wange an seine Schulter. Er küßte erst die eine, dann die andere auf die Stirne. Sie genossen seine Liebkosung. Die Mutter küßte sie nie. Hätte sie es getan, so wären sie scheu gewesen, weil sie Scheu gezeigt hätte. Warum es so war, darüber nachzudenken fiel ihnen nicht ein. Sie war ihnen gegenüber verschlossen, und vielleicht war dies der Grund. William hingegen küßte seine Kinder oft. Sogar Hal gab er erst seit kurzem keinen Gutenachtkuß mehr, und auch nur, weil er erkannte, daß es dem Jungen nicht behagte. Nachdem er das gemerkt hatte, küßte er ihn nie mehr. Ohne eine Erklärung hatte er ihm am folgenden Abend bloß schnell den Arm um die Schulter gelegt.
    »Gute Nacht, mein Junge«, hatte er gesagt.
    Hal war noch zu jung, um seine Erleichterung zu verbergen. Und William, dem dieses schnelle Aufatmen nicht entging, hatte leicht betrübt gedacht: ›Ich darf den Kindern mit meiner Verschiedenheit nicht zur Last fallen.‹
    Die Mädchen aber ließen sich seine Zärtlichkeit gern gefallen und boten ihm die frischen Wangen und ihre glatte Stirne.
    »Ihr riecht nach Sonnenschein und Erde«, sagte er. »Ihr riecht wie Mutter, und das ist das schönste Parfüm für eine Frau. Wollt ihr mir die Pinsel waschen?«
    »O ja«, erwiderte Jill eifrig.
    »Fein – dann muß ich nur noch mich selber waschen«, lachte er.
    Er drückte ihnen die schmutzigen Pinsel in die Hand und begab sich hinauf. Das Badezimmer hatte er kurz nach seiner Hochzeit eingerichtet. Der Alte hatte dagegen keinen Einspruch erhoben, obwohl er weiterhin am Samstagabend in der Zinnwanne badete, sommers im Schuppen, winters in der Küche. Auf seine alten Tage wurde er merkwürdig schamlos. Am Samstagabend tummelte er sich in seinem Bad, ohne sich um einen Menschen zu scheren. Ruth machte ihm deswegen manchmal Vorwürfe.
    »Papa, du solltest wenigstens die Türe zusperren oder rufen, wenn jemand

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