Eine Liebesehe
natürlich nicht. Ich meine mit deiner Frau. Heißt sie nicht Ruth?«
»Ja. Und ich bin glücklich.«
»Ganz richtig?«
»Vollkommen.«
»Würde ich sie gern haben?«
»Ich kann mir niemanden vorstellen, der sie nicht gern hätte.«
»Ob ich sie wohl mal kennenlernen werde?«
»Ich weiß nicht – das hängt von dir ab.«
»Jetzt nicht gerade, William. Vielleicht wenn ich nächstes Jahr zurückkomme. Ich komme nämlich jedes Jahr heim. Das hat Ronnie mir versprochen.«
»Aber England wird nun deine Heimat werden.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich – in gewissem Sinne – auch sehr weit entfernt lebe, obwohl es nur ein paar Kilometer sind.«
»Ist es ganz anders als hier?«
»Ja.«
»Aber es ist ein Heim?«
»Wo Ruth ist, da habe ich ein Heim.«
Sie seufzte daraufhin, und bald hielt sie im Tanz inne und erklärte, sie sei müde.
Sie streckte ihm die Hand hin. »Wann gehst du fort, William?«
Bis zu diesem Augenblick hatte er es nicht gewußt. Jetzt aber wußte er, daß hier alles für ihn zu Ende war, dieses Haus, diese Gesellschaft, dieses Leben.
»Morgen, gleich nach dem Frühstück.«
Sie blickten ihn alle an, als er das sagte, aber niemand sprach außer Elise.
»So leb denn wohl, William.«
»Leb wohl«, gab er zurück.
Er ging sehr bald danach hinauf. Niemand sonst nahm von ihm Abschied, und doch wußte er – und sie wußten es all – daß er sie nicht wiedersehen würde, nicht auf diese Weise.
Als er sich dann in dem Zimmer umsah, das in der Kindheit seine Zufluchtsstätte gewesen war, beschloß er plötzlich, unter diesem Dach nicht mehr zu schlafen, nein, nicht einmal heute nacht. Er zog sich um, und als das Haus still war, ging er hinunter, öffnete eine Nebentür zum Garten und kletterte über eine niedrige Mauer, worauf er sich in der ruhigen Seitenstraße westlich des Hauses befand. Einige Straßen weiter bekam er noch eine späte Straßenbahn, die ihn zum Bahnhof brachte. Er wartete eine Stunde und nahm dann einen Milchzug, der ihn an einem Ort absetzte, von dem aus er bis zur Farm nicht mehr weit zu gehen hatte.
Das Bauernhaus wurde nachts nie abgeschlossen. »Ich hab' in meinem Hause noch nie einen Schlüssel herumgedreht«, brüstete sich der alte Harnsbarger oftmals. »Nur Stadtleute schließen ab.« So waren die Türen offen, und William brauchte nur einzutreten. Aber er hielt einen Augenblick inne, ehe er hineinging. Noch nie war die Nacht auf dem Lande so zauberhaft gewesen. Es wehte kein Wind, und jeder Baum, jeder Strauch stand still und hatte seine Form, und das Mondlicht floß hernieder, weiß und klar, so klar, daß er alle Dinge in der ruhigen, hellen Nacht wachsen fühlte. Dies war sein, diese Täler und Hügel, die Wälder und der Fluß und der kleine See am Fuße des Hügels, und hinter ihm war Ruths Heim, war Ruth.
Er öffnete die Türe und trat ein, und das Haus empfing ihn mit seinem vertrauten Geruch nach altem Holz, Kalktünche und Küchengewürzen. Er stieg die gewundene Treppe hinauf: Mondscheinflecke auf den Stufen leuchteten ihm den Weg. Dann drückte er auf die Eisenklinke der Schlafzimmertür und ging hinein. Vielleicht war Ruth wach und wartete auf ihn. Auf den Zehenspitzen bewegte er sich zu ihrem Bett und blickte auf sie hinab. Sie schlief; ihre beiden langen braunen Zöpfe lagen auf dem Kissen. Über der Rüsche ihres hochgeschlossenen Nachthemdes war ihr Gesicht lieblich wie das eines Kindes in seiner Ruhe. Aber es war kein Kindergesicht, es war Ruths Antlitz mit den roten, vollen und festen Lippen und der klugen, breiten Frauenstirn.
»Oh, meine Schöne«, flüsterte er.
Und jedes andere Gesicht auf der Welt, Elises Gesicht, verblaßte und verließ ihn. Dies war sein Weib.
Er entkleidete sich, legte sich in sein Bett neben ihr und schmiegte sich an sie. Sie erwachte, nicht um zu sprechen, nicht um wegen seiner Rückkehr in Ausrufe auszubrechen, sondern nur um ihn mit den Armen zu umschlingen, ihn zu empfangen und ihn sich wieder zu eigen zu machen.
Als er am Morgen aufwachte, wußte er, daß hier bei ihr sein Heim war, nur hier.
Er hatte Ruths Mutter vor ihrem Tode wochenlang nicht gesehen. Ruth wollte ihn nicht in ihr Zimmer lassen. »Es ist nicht gut für sie, jetzt Besuch zu bekommen«, erklärte Ruth kurz.
Aber eines Nachmittags, als er vom Flusse nach einem Maltag heimkehrte, ersah er aus ihrem ernsten, ruhigen Antlitz, daß der Tod ins Haus kam. Er fragte sich, ob er Ruth wohl helfen könnte, den Kummer zu tragen, und doch
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