Eine Liebesehe
zweifellos der Mutter erzählt, daß er Ruth kennengelernt hatte und wie stumm sie gewesen war.
»Es war, als säße man mit einem Dienstmädchen zusammen.« Er hörte seinen Vater das sagen. Warum? Weil er, das wurde ihm jetzt mit jäher Qual klar, gegen seinen Willen und seine Absicht gerade selber so gedacht hatte.
Doch er konnte seine Eltern recht gut verstehen. Nicht daß sie snobistisch waren. Sie fühlten sich ganz einfach unbehaglich, wenn Menschen ihrer Meinung nach fehl am Platze waren. Sie liei3en sich selber leicht niederdrücken. Sein Vater war Ruth gegenüber ebenso verlegen gewesen wie sie.
Er machte scharf kehrt und schritt den besonnten Pfad entlang, wobei er den Brief in der Hand schwenkte.
»Ruth!« schrie er.
Sie befand sich hinter dem Hause, wo sie die schneeweißen Bettücher auf eine Leine hängte; der Wind blähte die Wäsche, und sie kämpfte mit den Klammern, die Arme hoch über den Kopf erhoben.
»Was für ein Bild gäbe das jetzt!« rief er gegen den Wind.
»Hör einmal auf, an Bilder zu denken, und hilf mir!« rief sie zurück.
Aber dazu taugte er nicht. Seine Hände, die mit dem Pinsel so gewandt und behende umgingen, waren täppisch mit den Wäscheklammern und schraken vor dem feuchten Leinen zurück.
»Na schön«, sagte sie gutmütig, »geh nur.«
Da sah er den Brief über den Rasen flattern. Der Wind hatte ihn aus seiner Tasche gerissen. »So etwas!« Er lief hinterher, fing den Brief und brachte ihn ihr. »Ruth, sag mir, was ich tun soll.«
Er las ihr den Brief vor und bemerkte, wie sie die Stirne runzelte. Sie blickte ihn unverwandt an.
»Was mußt du denn tun?« fragte sie.
»Ich möchte nur das tun, was du wünschst«, antwortete er.
Sie dachte abermals über den Brief nach. »Wer ist diese …« Sie zögerte.
»Elise? Ach, eine alte Freundin von mir.«
»Eine nahe Freundin?«
»Nicht sehr.«
»Möchtest du sie gern wiedersehn?«
»Nicht unbedingt.«
»Warum fragst du mich dann?«
»Es sind halt meine Eltern. Sie würden sich freuen, wenn ich käme.«
Die Sonne fiel unbarmherzig auf ihre glatte rosige und helle Haut, aber da war kein Fältchen. Das klare Blau und Weiß ihrer Augen war ebenso fehlerlos. Er konnte jede einzelne ihrer dunklen, gebogenen Wimpern in den zarten Lidern wurzeln sehen und darüber die weiche Bürste ihrer vollen Brauen. Ihre Lippen teilten sich, und das Sonnenlicht glänzte auf ihren weißen Zähnen. Sie atmete Gesundheit, wie sie da vor ihm stand, und über ihrer ganzen Schönheit lag etwas Heilsames.
Ihre Lider senkten sich. Sie bückte sich nach einem anderen nassen Leintuch.
»Ich habe doch nicht zu bestimmen, was du mit ihnen machen sollst.«
»Du mußt dich aber äußern, wenn es dich und mich angeht.«
»Es bedeutet wohl keinen Unterschied, was dich und mich angeht, ganz gleich, was du tust. Hier, halt das mal mit mir zusammen, wir wollen es auswringen, damit es trockener wird.«
Er ergriff das eine Ende des schweren Lakens und hielt es fest, während sie ein paar Wassertropfen auswrang.
»Wenn du es wirklich so empfindest, mein Herz, dann will ich gehen«, sagte er.
»Ich sage nicht etwas und meine was anderes«, erwiderte sie.
Sprach sie kurz angebunden, oder bildete er sich das bloß ein?
»Ich weiß, mein Geliebtes«, sagte er.
Sie war unzugänglich, während sie das flatternde nasse Leintuch aufhängte, deshalb beugte er sich vor, küßte sie auf den Scheitel und ging dann weg.
War es gut, im Hause seiner Kindheit zu schlafen? Er prüfte sich, indem er jede alte Gewohnheit bedachte. Gefiel ihm das besser, als er selber wußte? Er beobachtete sich, indem er seine Gemütsbewegungen überwachte und seine Freude abmaß. Es war mehr als die körperliche Freude an seinen alten Zimmern, seinen Büchern, den Möbeln und den Gebrauchsgegenständen, die seine Hand gewohnheitsmäßig benutzte. Es lag etwas in der Atmosphäre des ganzen Hauses. Die Menschen, die darin gelebt hatten, seine Großeltern und seine Eltern, ja, auch Louise und er selbst, und alle ihre Freunde, hatten ihren Widerhall hier hinterlassen, ihre Formen, die Gewohnheiten ihres Denkens und Seins, genau wie der Bauernhof von Ruths Vorfahren erfüllt war.
Mit bewußtem Vergnügen genoß er die Atmosphäre seines eigenen Stammes, wobei er sich fragte, ob er damit Ruth untreu wäre. Aber in dieser Stimmung vorübergehender Loslösung wollte er feststellen, ob er ihr untreu sein könnte. Wenn das möglich war, so hatte es ebenfalls seine Bedeutung. Er war
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