Eine Liebesehe
zu sehr Weltmann, um die Tiefe seiner Liebe zu Ruth nicht abzuwägen.
Darum gab er sich mit ganzem Herzen diesem Hause hin. Da weder sein Vater noch seine Mutter Ruth erwähnte, tat er es auch nicht. Es war genau, als wäre er auf Reisen gewesen und nun wieder heimgekehrt, nur daß er nicht gefragt wurde, wo er sich aufgehalten und was er gesehen habe. Er ging im Hause herum, nahm alles frisch wahr, spielte Klavier, betrachtete die Gemälde, besprach mit der Mutter den Platz für einen neuen Rosengarten, der im Frühling angelegt werden sollte. Sein Vater war aufgeregt, weil die Möglichkeit bestand, daß in Italien ein Tizian verkauft wurde, und er sandte alle paar Stunden eine Depesche an seinen Kunsthändler in Rom. Es war alles genauso, wie es immer zu sein pflegte.
»Ich will Louise anrufen, ob sie und Monty Sonntag kommen können«, sagte die Mutter. »Es wird eine richtige Familiengesellschaft werden.«
»Das wäre nett«, antwortete William ruhig. Nun gut, er wollte sehen, wie ihm seine Familie jetzt erschien, nachdem er mit Ruth gelebt hatte.
Nachmittags begab er sich zum Bahnhof, um Elise und ihren Mann abzuholen, immer noch wägend, immer noch überlegend. Ob ihn wohl Reue ergreifen würde, wenn er Elise mit einem andern Mann aus dem Zuge steigen sah? Der Vater hatte ihnen seinen eigenen Eisenbahnwagen nach New York geschickt, und William ging zum Ende des Bahnsteigs, wo der Wagen, wie er wußte, halten würde. Als Kind hatte er den Eisenbahnwagen gut gekannt. Im Winter hatte er die Familie nach Florida und wieder zurück gebracht, und einmal war William darin von Grotom heimgefahren worden, mit einer schlimmen Influenza, damit der Arzt seiner Mutter ihn pflegen konnte. Sie vertraute keinem andern. Nun, er war nicht gestorben, und so hatte sich der Urteilsspruch gerechtfertigt, obwohl der Schularzt es töricht gefunden hatte.
William stand wartend da, als der Zug auf ihn zuraste, geradewegs auf ihn zu, und dann an ihm vorbeidonnerte. Der schwere Privatwagen hielt fast vor ihm, im nächsten Augenblick wurde die Türe geöffnet, und der alte Negerdienstmann, der von jeher den Wagen bedient hatte, ließ die Treppe herunter. Gleich daraufkam Elise heraus; sie sah schöner aus denn je, das fiel ihm sofort auf. Sie war von Kopf bis Fuß in dunklen Pelz gehüllt, und an ihrem Kragen steckte eine rote Kamelie. Ihr blasses Gesicht mit den dunkelroten Lippen war kühl und angenehm, bis sie ihn erblickte. Da verschwand der kühle Ausdruck. Ihre dunklen Augen lachten, und sie rief: »William, wie unbeschreiblich herrlich! Das habe ich mir ja gar nicht träumen lassen – Ronnie, das ist William!«
Ein großer, dünner Engländer mit gegürteltem Mantel tauchte hinter ihr auf, streckte eine lange, magere Hand aus und begrüßte William mit einem so kräftigen Händedruck, daß es weh tat.
»Guten Tag«, murmelte er unter seinem kurzen, blonden Schnurrbart hervor.
Er sah genauso wieviele andere Engländer aus, die William an verschiedenen Orten der Welt zu Gesicht bekommen hatte, daß er nicht recht begreifen konnte, warum Elise gerade ihn unter allen auserkoren hatte. Aber dafür mußte es wohl einen Grund geben.
»Guten Tag«, grüßte William und zog die Hand zurück.
Er fragte sich unwillkürlich, ob Ronnie Elises Freude übelnahm. Denn als sie den Bahnsteig entlanggingen, machte sie keinen Hehl aus ihrer Freude. Sie war freimütiger als früher, als ob sie sich jetzt als verheiratete Frau keinen Zwang mehr aufzuerlegen brauchte.
»William, wenn man mich gefragt hätte, was ich mir am meisten wünsche, so hätte ich geantwortet: dich wiederzusehen!«
Er lächelte; er wußte nicht recht, wie er sich dazu verhalten sollte, und es nahm ihn wunder, ob er wohl, wenn Ronnies scharfes Profil nicht auf der anderen Seite dieses glühenden Gesichts gewesen wäre, eine passende Antwort gefunden hätte. Aber es fiel ihm leicht, Ronnie zu vergessen. Die große, schlendernde Gestalt, deren Hände dauernd in den Taschen steckten, ragte liebenswürdig schweigend nur undeutlich im Hintergrund hervor, lachte unvermittelt, wenn ein Scherz gemacht wurde, beantwortete eine Frage mit der größtmöglichen Wortkargheit und äußerte nie etwas aus freien Stücken. Der Umgang mit Elise war viel leichter als früher. Sie fühlte sich frei in der Gesellschaft des andern, wohingegen sie früher beide nicht frei gewesen waren.
William hätte nicht gedacht, daß sie so fröhlich sein könnte. Sie war mit ihm nie fröhlich
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