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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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blickte er fort über die alten, tief eingesunkenen Grabsteine, über die gewellten Hügel und Täler. Gerade hinter der Kirche befand sich ein Steinbruch, in dem jetzt nicht mehr gearbeitet wurde. Die Gemeinde hatte einen Prozeß gegen den Eigentümer des Steinbruchs geführt, um zu verhindern, daß unter den Gräbern gesprengt wurde, und sie hatte den Prozeß gewonnen, worauf der Besitzer des Steinbruchs grollend fortgezogen war. William konnte von seinem Standort gerade den einige Meter entfernten Rand des Schachtes sehen.
    Nach der Beerdigung kehrten sie auf den Hof zurück, wo die Leute Kuchen aßen und Wein tranken und ruhigen Tones von alltäglichen Angelegenheiten sprachen. Es gab sogar ein kleines, mildes Gelächter. Unter ihnen bewegte sich Ruth angemessen und selbstbeherrscht, indem sie darauf achtete, daß alles sich richtig vollzog. Bald danach verabschiedeten sich die Gäste.
    »Es war ein netter Anlaß«, sagten sie.
    »Alles war so, wie sie's gemacht hätte«, sagten sie.
    Sie begaben sich nach Hause, wo jeder sein Leben wie zuvor wieder aufnahm, und auch in diesem Hause ging alles weiter wie früher, nur daß Ruths Bruder Tom ein paar Tage dablieb. Dann aber packte ihn die Unruhe; er strebte in sein Dorf zurück, vor allem weil er mit jedermann die Frage besprach, ob er sich mit dem neuen Automobilgeschäft befassen sollte, das jetzt dem Fuhrwerkswesen in die Quere zu kommen anfing.
    »So eine neumodische Sache, die nicht lange dauern wird«, knurrte der alte Harnsbarger. »Es hat immer Pferde gegeben, und es wird sie immer geben.«
    »Das sagst du«, gab Tom gutgelaunt zurück.
    Ruths Bruder sah aus wie all die Männer im Tale. Er hatte nichts an sich, das ihn als Ruths Bruder kennzeichnete, und William hegte ihm gegenüber keine Verwandtschaftsgefühle. Doch was dies betraf, so fühlte er sich keinem Menschen verbunden außer Ruth.
    Harnsbarger aber wurde plötzlich alt. Er verlangte jetzt von ihnen das Versprechen, daß sie immer auf dem Hof leben würden.
    »Du hast ja keine regelmäßige Arbeit, William«, sagte er. »Was du tust, das kannst du ebensogut hier wie sonstwo tun.«
    Die Veränderung, die in dem alten Manne vorging, war erstaunlich, und William sah sie mit schärfster Wahrnehmungsfähigkeit. Er hätte geschworen, daß die alte Frau Harnsbarger ihrem Gefährten seit Jahren nichts mehr bedeutet hatte. Sie hatten keine zwanzig Worte im Tage gewechselt, und sein Ton ihr gegenüber war ein gewohnheitsmäßiges Brummen gewesen, das sie nicht weiter beachtete. Und doch war er wie gelähmt, als sie starb.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß ich jemals Witwer würde«, sagte er kummervoll zu Ruth.
    »Wenn du nicht Witwer geworden wärst«, entgegnete sie, »dann wäre Mama Witwe geworden.«
    »Ja, gewiß«, sagte er beeindruckt, »aber nie hätte ich gedacht, daß es so käme.«
    In den Tagen nach dem Begräbnis murmelte er diese Bemerkung gelegentlich vor sich hin, und er schien in ihrer Unvermeidlichkeit Trost zu finden.
    »Was du sagtest, war sehr vernünftig«, äußerte er zu Ruth.
    Danach geschah es, daß er mit William sprach.
    Am Abend aber sprach Ruth mit William in jener zarten Offenheit, die sie ihm gegenüber in besonderem Maße an den Tag legte. Keinem andern Menschen gegenüber zeigte sie diese Mischung von Scheu, Offenheit und Holdseligkeit.
    »Ich rede zuerst mit dir, William«, begann sie. »Wenn du fortziehn willst, dann gehn wir, und Vater kann jemanden dingen. Allerdings hoffe ich zu Gott, daß wir nicht in einer Stadt leben müssen.«
    »Laß uns auf jeden Fall noch eine Weile bleiben«, antwortete er sachlich. »Vielleicht kann ich hier genauso gut arbeiten wie woanders.«
    Eine Woche später ging das Leben im Hause weiter, als ob hier nie der Tod eingetreten wäre. Die alte Frau Harnsbarger schien gar nicht fortgegangen, sondern sie schien immer noch dazusein. William sann darüber nach und stellte fest, daß Ruth auf ihre eigene Weise nun auch ihre Mutter wurde. Sie hatte nichts von ihrer Mutter, und doch bewegte sie sich ruhiger. Sie lief weniger oft hin und her und sprang nicht mehr wie ein junges Mädchen von ihrem Sitz auf, sondern erhob sich anmutig langsam wie eine Frau, um das zu erledigen, was erledigt werden mußte. So leben die Toten vielleicht weiter.
    Aber William liebte diese Ruth wenn möglich noch leidenschaftlicher als das einstige Mädchen Ruth. Allmählich wurde er etwas hilfloser als früher; er wartete darauf, daß sie für ihn kleine Handgriffe

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