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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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William zu. Hier in diesem rauchgeschwärzten Räume hatte er sie zum erstenmal gesehen als das, was sie war: ganz Frau.
    »Ich glaube, daß für Hals Töchter gesorgt ist«, sagte er.
    »Kinder müssen selber für sich sorgen«, entgegnete sie. »Es kommt eine Zeit, wo die Alten es nicht mehr können.«
    Sie saßen nebeneinander auf der alten Ofenbank, und bald nickte er ein. In der Küche herrschte solche Stille.
    »Wir wollen zu Bett gehen«, sagte sie.
    Beim Klang ihrer Stimme erwachte er, stand auf und folgte ihr.
    Aber gegen Mitternacht war er wieder wach, so hellwach, als ob die Morgendämmerung schon angebrochen wäre. Früher hatte er sich über dieses Wachliegen in der Nacht aufgeregt, weil er meinte, es stimme etwas nicht bei ihm, bis Ruth eines Tages auf seine Klagen friedlich geantwortet hatte: »Mir scheint, du wirst alt, William. Ich habe noch nie einen alten Menschen gesehen, der nicht wie ein kleines Kind wurde – tagsüber schlief und nachts wach lag.«
    Danach hatte er sich nie mehr beklagt. Ja, er wurde allmählich alt, und er lag in dem großen Doppelbett geduldig wach. Vor hundert Jahren war dieses Bett ins Zimmer gestellt und nie mehr fortgeschafft worden. Er war in dieses Haus gekommen und hatte hier seine Schlafstätte gefunden.
    Ringsum war die Nacht wunderbar weich und tief. Vor langer Zeit hatte er die ländliche Nacht lieben gelernt. Das gehörte zu den vielen Dingen, die ihn entschädigten.
    Er hörte Ruth neben sich leise atmen. Sie schlief ebenso friedlich wie als junge Frau. Alle ihre Lebensäußerungen wurden von der Gesundheit getragen. Sie war gesund und reif, nicht alt wie er. Wie kam er auf den Gedanken der Entschädigung, wenn er doch ein so reiches Leben gehabt hatte? Er dachte an die erste Vereinigung mit ihr. Die Erinnerung an jene Leidenschaft bedeutete etwas Holdes, nachdem diese Leidenschaft sie verlassen hatte. Sie brauchten sie nicht mehr. Längst waren sie ein Leib geworden. Wenn sein Geist immer noch abgesondert war, so lag das an ihm, nicht an ihr. Er begriff recht gut, daß ihre Zornausbrüche, ihre Gereiztheit gegen ihn, die sich im Laufe der Jahre verschärfte, bis sie ihn manchmal vorübergehend wirklich unglücklich machte, darauf beruhten, daß sie geistig getrennt blieben, während sie körperlich eins waren. Demütig fühlte er, daß er schuld daran war, denn Ruth hatte sich mit ihrem ganzen Wesen für ihre Ehe eingesetzt. Aber dieser eine Teil von ihm, den sie nicht brauchte, war übriggelassen worden, und so hatte er ungenutzt in ihm geruht. Jetzt schwang er sich in die Nacht hinaus.
    Die ganze Welt, die William durchwandern konnte, lag außerhalb dieses stillen Hauses. Er träumte nicht von einem Menschen, den er kannte, sondern von Dingen, die er nie gesehen oder nur erblickt hatte, als er noch sehr jung war, und die er nun nie mehr wiedersehen würde. Menschen, Orte, Bilder, Freunde, die er nie gehabt, Gefährten, die er nicht gefunden hatte.
    Aber all dies brachte keinen Schmerz. Einst, als er ein Mann in mittleren Jahren war, hatte es Schmerz gebracht. Damals hatte er unter der Bindung, die Ruth ihm auferlegte, weil sie ihn brauchte, gestöhnt, obwohl sie auch voller Süßigkeit gewesen war. Als Ruth ihn nicht mehr brauchte, war es zu spät. Denn jetzt brauchte er sie mehr als je zuvor, und jetzt hing er ganz und gar von ihr ab.
    Er führte seinen schweifenden Geist zu ihr zurück und empfand den Trost ihrer Gegenwart. Sie war so stark, sie liebte ihn, und es war längst zu spät für alles außer ihrer beider Liebe. Ihre gegenseitige Liebe war die Wirklichkeit seiner Jugend gewesen.
    ›Ich konnte nicht malen, als wir in New York lebten‹, dachte er, ›und ich hätte nicht malen können, wenn ich Ruth nach Hals Fortgang verlassen hätte. Ihr Elend hätte mich gequält, wenn ich nicht hier gewesen wäre, um sie zu trösten. Sie brauchte mich damals – oder Jill hätte gelitten.‹
    Und was blieb ihm nun außer seiner zärtlichen, anklammernden Liebe zu ihr und ihrer starken Liebe zu ihm? Er wußte, auch wenn sie sich oftmals über ihn ärgerte, so rührte es daher, daß sie ihn liebte. Sie hatte ihn in ihr Wesen aufgenommen, und er konnte sie stören, wie es niemand sonst vermochte, weil er in ihrem Wesen war und doch nicht ganz ihr gehörte, so sehr er sich auch darum bemühte und danach verlangte. Er wollte ihr in nichts mehr fremd sein, denn ihre gegenseitige Liebe brachte Trost, der jetzt umfassender war als das Leben selbst.
    Er bewegte sich

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