Eine Liebesehe
ein wenig und verspürte einen stechenden Schmerz, und sekundenlang wurde ihm bange.
»Ruth!« hauchte er.
Er mochte sie nicht wecken, aber wenn er sie brauchte, mußte er es tun. Er konnte seine Anfälle nie allein überstehen.
Aber der Schmerz kam nicht wieder. Er wartete, doch immer noch blieb er verschont.
›Ich kann schlafen‹, dachte er dankbar. Aber es fror ihn ein bißchen.
Er drehte sich um, schmiegte seinen Körper an Ruths warmen Leib und legte den Arm um sie. So hatten sie viele Jahre geschlafen, ohne daß sie aufwachte.
Als sie erwachte, lag sein Arm fest und hart auf ihr. Sie vermochte sich der Umklammerung nicht zu entziehen.
»William!« rief sie, um ihn zu wecken.
Aber er wachte nicht auf.
»William!« schrie sie. Gewaltsam schob sie seinen Arm fort; der jähe Schrecken gab ihr Kraft.
»William, William … William!«
Sein Gesicht war voller Frieden – er gab keine Antwort – war tot.
»Oh«, stöhnte sie. »Oh, mein Geliebter!«
Sie sprang aus dem Bett und eilte zum Telefon, um den Arzt anzurufen. Aber das war natürlich zwecklos.
»Es ist genau so geschehn, wie Sie sagten«, stieß sie hervor, als sie den Hörer in der Hand hielt. »Im Schlaf ist er von mir gegangen.«
»Ich komme gleich, Frau Barton«, gab der Arzt zurück. »Bemühen Sie sich um nichts – ruhen Sie nur aus.«
Aber es war ihr unmöglich, auszuruhen. Sie mußte sich Williams annehmen. Es mußte doch etwas für ihn zu machen sein. Er mußte ordentlich hergerichtet, gekämmt und richtig gebettet werden.
Sie holte eine Schüssel mit Wasser und setzte sie auf einen Stuhl neben dem Bett. Sie schluchzte die ganze Zeit, während sie ihm Hände und Gesicht wusch.
»Ach, mein Geliebter«, stöhnte sie, »hast du mich gerufen, und hab' ich's nicht gehört? Ich habe einen so schrecklich gesunden Schlaf. Ach, William, William!«
Sie wußte, daß es ihre letzte Stunde des Zusammenseins war. Wenn der Arzt erst kam, wenn erst einmal angefangen wurde … Sie ließ den Kopf auf seine Brust sinken.
»Ich wünschte, ich wäre nicht so oft böse zu dir gewesen«, murmelte sie. »Ich wünschte jetzt … ach! Oh, daß wir nun unsere goldene Hochzeit nicht erleben werden, William … William!«
Er wurde in so grausam kurzer Zeit fortgetragen. Sie stand daneben und sah zu, wie man die große Gestalt vom Bett aufhob. Andere Menschen hatten ihn angezogen, während sie sich selber ankleidete.
»Geh in die Küche, Mutter«, sagte Mary. »Du kannst nun nichts mehr für ihn tun.«
Beide Töchter waren sogleich gekommen. Jill hatte die kleinen Mädchen mitgebracht, aber Ruth sah sie kaum an.
›Mein Leben ist vorbei‹, dachte sie. ›Ich habe ihn verloren.‹
Sie hatte versucht, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten, seit sie wußte, daß er kommen mußte, aber sie war nicht vorbereitet. Nichts konnte sie wirklich auf das Ende all dessen vorbereiten, wofür sie gearbeitet und gelebt hatte. Sie vermochte sich nicht zu erinnern, wie es in diesem Hause vor jenem Tage gewesen, als William zum Essen gekommen war, und ebensowenig konnte sie sich vorstellen, wie es nun sein würde.
›Ich weiß noch genau, wie er damals in diesem Raume aussah‹, dachte sie und schaute sich in der Küche um.
Sie setzte sich, betrachtete die Wände, die Einrichtung. Sie hatte ihn von dem Augenblick an, da sie ihn sah, geliebt. Sie liebte ihn jetzt noch.
›Ich weiß gar nicht, warum ich in der letzten Zeit so wunderlich böse mit ihm war, ich kann es mir nicht erklären‹, sagte sie zu sich. Tränen füllten ihre Augen und rannen ihr über die Wangen.
›Ich war nicht gut genug für ihn‹, dachte sie. ›Nie war ich gut genug für ihn, und das wußte ich immer.‹
Dies war ihr Kummer. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihn verdrängt, doch nachdem William nun gestorben war, stieg er auf.
›Er war besser als ich. Er war nicht einmal böse zu mir, nie‹, dachte sie verzweifelt. ›Ach, William, ich wünschte, du wärst es manchmal gewesen!‹
Mary kam herein und fand sie laut schluchzend. Sie umarmte die alte Frau.
»Nein, Mutter, nicht«, sagte sie. »Es mußte so kommen. Wir wußten ja, daß es so kommen würde, und er ist leicht gestorben – im Schlaf.«
Ruth schüttelte den Kopf. »Ich weine ja nicht nur deshalb«, entgegnete sie.
Aber sie konnte dem eigenen Kinde die Beziehung zwischen William und ihr nicht erklären.
Sie trocknete sich die Augen. »Ich glaube, ich sollte mich lieber in Ordnung bringen«, sagte sie.
»Ja, die
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