Eine Luege ist nicht genug
langsam vom Gesicht. Sein Blick war starr und leer, aber irgendwie schaffte er es, ihn auf das Mädchen vor ihm zu richten.
Ich hatte mit einer Ohrfeige gerechnet, doch Olivia beugte sich etwas zurück und knallte ihm dann mächtig eins aufs Auge. Fast wäre er, betrunken wie er war, durch den Hieb zu Boden gegangen, aber ich war da, um ihn aufzufangen – und auch um ihn festzuhalten, falls der Alkohol ihn vergessen lassen sollte, dass er niemals eine Frau schlagen würde. Hamilton schüttelte mich ab, als wäre ihm bewusst, was ich da machte, und war beleidigt. Doch in seinem Kopf musste der Schlag noch nachdröhnen, denn er ließ sich von mir wieder in seinen Sessel schieben.
Ich weiß, wie höllisch weh es tut, wenn man einen Kerl mit so einem Schlag richtig trifft, und Olivia hielt sich die Hand, als wäre sie gebrochen. Auch sie beschwerte sich nicht. Als sie davonstolzierte, sagte sie kein Wort zu mir, und ich hatte auch keines von ihr erwartet.
Hamilton hob die Hand zu seinem Auge, das bereits anschwoll, und zuckte vor Schmerz zusammen.
»V erdammescheiße«, stöhnte er.
Auf dem Tisch stand ein Eiskübel für Hamiltons Drinks. Ich packte ein paar Eiswürfel in ein Handtuch und hielt es ihm hin. Er schnappte danach und zuckte wieder zusammen, als er damit sein Gesicht berührte.
»Also, du warst da, um mich festzuhalten, aber nicht, um sie daran zu hindern, auf mich einzudreschen.«
»Ich denke, du hast es verdient.«
Hamilton setzte die Sonnenbrille wieder auf und versuchte, den Eisbeutel darunter arbeiten zu lassen.
»Du bist schon ein komischer Freund, Horatio.«
»Ja, schon«, sagte ich. »Aber vergiss nicht, dass ich einer bin. Die gehen dir nämlich langsam aus.«
Hamilton hätte wahrscheinlich an meiner Freundschaft gezweifelt, hätte er gewusst, wohin ich fuhr, nachdem ich ihn verlassen hatte. Ich hatte ihm versprochen, keiner Menschenseele etwas davon zu erzählen, dass wir das Rätsel um die Ermordung seines Vaters ohne fremde Hilfe lösen wollten, doch soweit es mich betraf, war sogar eine doppelt geschworene und mit Händedruck besiegelte Abmachung hinfällig, wenn jemand niedergeschossen wurde.
Denmark war eine winzige Stadt, und so fiel es nicht besonders schwer, die örtliche Polizeiwache zu finden. Ich parkte meinen nicht mehr weißen und nicht sehr coolen Volvo auf einem der Parkplätze davor und ging hinein. Es war ein kleines Gebäude mit nur einem Raum und einer Reihe kleiner Zellen auf der einen Seite. Steckbriefe und öffentliche Bekanntgaben waren an jeder freien Stelle an die Wände getackert und es roch kräftig nach Lederpolitur und Kautabak. Zwei unordentliche Schreibtische standen hinter einem langen Tresen, die die Hüter des Gesetzes von dem gewöhnlichen Gesindel wie mich trennte. Der einzige Polizist in der Bude saß hinter einem der Tische, aß ein beachtliches Sandwich und las Zeitung.
Die Jalousien an der Tür klapperten, als ich hereinkam, und verkündeten so meine Anwesenheit.
»Kann ich helfen?«, fragte der Cop. Sein Akzent war ganz schön stark, aber zum Glück war ich sowohl in Englisch als auch in Appalachisch fließend bewandert.
»Mein Name ist Horatio Wilkes. Ich bin ein Freund von Hamilton Prince. Ich bin für ein paar Wochen in diesem Sommer bei ihm.«
»Bist du dann auch bei ihm im Knast?« Er prustete über seinen eigenen Witz.
»Hat Mr Mendelsohn Anzeige erstattet?«
»Nä, der Rechtsverdreher ist zu treu ergeben. Ist aufgewacht und hat uns erzählt, dass es nur ein Unfall war. Keine Anzeige. Es sei denn, du kannst noch was …«
»Nein. Nichts darüber. Aber über einen Mord.«
Bei dem Wort schossen seine Augenbrauen hoch.
»Mord?«
»Ist hier ein Kripobeamter, mit dem ich reden kann?«
Der Polizist grinste mich an, als wäre ich ein Idiot. »Ach, ich denke, das kann ich schon erledigen. Mal sehen«, sagte er, stand auf und klopfte seine Taschen ab. »Jetzt muss ich nur noch mein Detektivnotizbuch finden.« Er schnappte sich sein Butterbrotpapier und strich es auf dem Tresen glatt.
»Na, bitte, das wird’s tun.« Er klickte mit dem Kugelschreiber und sah mich an. »Also, wer ist ermordet worden?«
Ich hasse Erwachsene, die Teenager behandeln, als wären sie noch in der Grundschule, aber da ich wollte, dass dieser Komiker mir zuhörte, schluckte ich nur.
»Rex Prince. Der Dad von meinem Freund Hamilton.«
Er leckte den Stift an und sagte »Rex Prince«, während er das aufschrieb. »Du meinst doch den, der schon tot ist?«
»Schon
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