Eine Lüge macht noch keine Liebe! (German Edition)
sehen. Die
üblichen Hotelburgen, die sie von Bildern anderer Badeorte kannte, fehlten.
„Stimmt“, bestätigte Alessandro,
als sie ihre Beobachtung laut aussprach, „es ist ein relativ ursprünglicher
Fischerort geblieben. Hier gibt es nicht viel Platz zum Bauen, der Ort ist von
allen Seiten eingeschlossen, im Osten vom Meer, im Süden vom Kanal, im Westen
von der Hauptstraße und im Norden vom nächsten Ort. Da blieb zum Glück nicht
viel Raum für die typischen Bausünden der sechziger Jahre.“
Langsam machten sie sich auf den
Rückweg. Vor ihr, entlang des Sandstrands, erkannte Lara die flachen Gebäude
der bagni, in denen man im Sommer Liegestühle und Sonnenschirme mieten und sich
mit Getränken, Eis und Snacks versorgen konnte. Als sie den Strand erreicht
hatten, steuerte Alessandro auf das bagno zu, das ihnen am nächsten lag. Sie
traten ein und wurden freundlich begrüßt. Sie waren die einzigen Gäste und
setzten sich an einen kleinen Tisch am Fenster, von wo aus sie einen herrlichen
Blick aufs Meer hatten.
Der Anblick des winterlichen
Badestrands befremdete Lara, so als könne es Sand, Muscheln und Wellen nur in
Verbindung mit Hitze, lärmenden Touristen und Sandburgen bauenden Kindern
geben. Die leere Weite, die sich vor ihren Augen ausbreitete, wurde nur von den
orangefarbenen Fangnetzen unterbrochen, die den Sand der heftigen Winterstürme
abhalten sollten. Ein einsamer Spaziergänger war mit seinem Hund unterwegs,
ansonsten gehörte der Strand den Möwen.
Hier lebten und arbeiteten
Menschen auch dann, wenn keine Urlauberströme die Strände überfluteten, ihr
Geld hier ausgaben und daher erwarteten, dass sich alles nur um sie und ihre
Bedürfnisse zu drehen hatte. Um diese Jahreszeit war es ruhig und fast schien
es so, als würde die Zeit ihren Lauf verlangsamen, nichts eilte, nichts war
wichtig, alles existierte nur für sich selbst und schien sich von den Strapazen
des vergangenen Sommers zu erholen, um neue Kräfte für den nächsten zu sammeln.
Zwischen Strand und Horizont waren Boote zu erkennen, doch sie waren zu weit
entfernt, um festzustellen, ob sie fuhren oder stillhielten.
Sie bestellten sich Kaffee und
Mineralwasser und bekamen einen kleinen Teller mit Schokoladenkuchen dazu
serviert.
„Ich möchte dich etwas fragen“,
brach Lara das Schweigen und Alessandro wandte sich zu ihr.
„Frag mich, was immer du willst.“
„Was machst du eigentlich, wenn
du nicht gerade mit mir spazieren fährst. Ich meine“, sie erwiderte seinen
Blick, der ruhig und abwartend auf ihr ruhte, „was machst du beruflich? Du hast
zwar erzählt, ihr aus Goro wärt alle Fischer, aber wenn ich ehrlich bin, kann
ich mir nicht vorstellen, wann du dazu die Zeit findest.“
Er musterte sie einen Moment und
brach dann in Lachen aus.
„Ich sehe schon, der Detektiv in
dir erwacht! Sei ehrlich, das interessiert dich doch schon lange, nicht wahr?“
Sie nickte ein wenig verlegen,
weil er sie schon wieder durchschaut hatte.
„Wir Muschelfischer haben, wenn
alles glatt läuft, tolle Arbeitszeiten. Wenn du gut bist und deine Ausrüstung
technisch auf dem neuesten Stand hast, dann bist du mit deiner Quote unter
Umständen in zwei bis drei Stunden fertig.“
„Was denn für eine Quote?“
„Das ist etwas kompliziert, aber
sagen wir mal so: keiner von uns fischt auf eigene Faust. Wir sind in
Kooperativen organisiert und die wiederum schließen sich zu einem Konsortium
zusammen. Dort sammelt sich die gesamte Nachfrage und von da aus wird die Quote
verteilt, die jeder einzelne von uns pro Tag machen darf.“
„Ist das jeden Tag verschieden?“
„Ja, klar. Vor Festtagen ist es
mehr, unterm Jahr wieder weniger. Vor Weihnachten zum Beispiel kann es
passieren, dass jeder von uns eine Quote von hundert Kilo hat, aber in den
Wochen nach Neujahr nur vierzig oder fünfzig Kilo.“
„Aha. Und deine zwei, drei
Stunden, wann machst du die?“
„Am frühen Morgen.“
„Deshalb also hast du tagsüber
ständig Zeit!! Jetzt geht mir ein ganzer Kronleuchter auf!“
Er lachte schallend.
„Also gehst du nicht Fische
fischen, sondern Muscheln sammeln“, resümierte sie und nickte verstehend.
„So ist es“, nickte er, „früher
war ich auch fischen, mit meinem Großvater, aber jetzt nicht mehr. Als er
langsam zu alt dafür wurde, haben wir das Boot verkauft und damit aufgehört.
Auf Muscheln gehe ich zusammen mit Antonio, aber auch nicht mehr jeden Tag.
Inzwischen hab ich noch einen Job in einem Hotel in der
Weitere Kostenlose Bücher