Eine Marcelli geht aufs Ganze
Haferflocken, die in dem Rest Milch in der Schüssel schwammen, und räusperte sich. »Bis er mich auf ein Internat oder so schickt.«
Das ›oder so‹ war es, das ihr am meisten Angst machte.
»Wovon, zum Teufel, sprichst du? Sam wird dich nirgendwo hinschicken.«
Kelly schaute ihren Urgroßvater an. »Meine Mom hat gesagt, dass er mich vermutlich ein paar Jahre lang behalten wird und mich dann wegschickt, wenn ich zu sehr störe. Vielleicht in eines dieser Internate oder sogar auf eine Tanzschule. Ich schätze, das wäre ganz okay.«
Der letzte Satz diente mehr dazu, sich selbst zu überzeugen. Richtig an ihn glauben tat sie nicht. Sie wollte nirgendwohin gehen. Sie wollte Teil einer Familie sein. Sie wollte sich sicher fühlen.
»Willst du denn weg?«, fragte Gabriel.
Kelly öffnete den Mund und überraschte sie beide damit, dass sie in Tränen ausbrach.
»Dummes Mädchen«, murmelte Gabriel und rutschte mit seinem Stuhl näher an sie heran, um sie in die Arme zu ziehen. »Du wohnst jetzt hier. Ich weiß, es ist schwer, sich einzugewöhnen, vor allem wenn einen die Mutter einfach so abgeschoben hat. Aber wir sind jetzt deine Familie. Ob du willst oder nicht, du hast uns am Hals.«
Kelly wollte ihm so gern glauben. Wirklich. »Sam ist oft böse auf mich.«
»Natürlich ist er das. Ich bin manchmal so böse auf ihn gewesen, dass ich ihn am liebsten für den Rest seines Lebens in seinem Zimmer eingesperrt hätte. Aber ich habe mich wieder beruhigt. Bis er das nächste Mal etwas verbockt hat. So sind Kinder nun mal. Stell dir einfach vor, es wäre dein Job.«
Er roch nach Pfefferminz und Sportsalbe. Seine Arme waren dünner als Sams, aber von ihnen umfasst zu werden fühlte sich genauso beruhigend an. Sie hob den Kopf und schaute ihn an. »Meinst du das echt?«
»Natürlich.« Er schob ihr eine Locke aus der Stirn. »Meine Frau war eine der schönsten Frauen, die ich je getroffen habe. Immer wenn ich mit ihr die Straße entlangging, haben andere Männer uns hinterhergeschaut und sich gefragt, wieso jemand wie ich so viel Glück hat. Willst du ein Geheimnis wissen?«
Kelly wischte ihre Tränen fort. »Was?«
»Du siehst genauso aus wie sie. Sie hatte auch rote Locken und grüne Augen.«
Erstaunen erfüllte sie. Erstaunen und etwas, das sie von innen heraus wärmte und ihr das Gefühl gab zu schweben. »Hatte sie auch Sommersprossen?«
»Wundervolle Sommersprossen. Genau so welche wie du.«
Francesca parkte ihren Wagen vor der Hacienda. Kelly sprang heraus, rannte zur Hintertür und stürmte ins Haus. Francesca blieb noch einen Moment sitzen. Wenn sie an diesem Tag nicht auf Kelly hätte aufpassen müssen, hätte sie vermutlich nicht den Mut aufgebracht, überhaupt zu kommen. Doch da Sam zum Abendessen erwartet wurde, hatte sie keine Wahl. Auf gar keinen Fall konnte sie zulassen, dass er ihrer Familie allein gegenübertrat, bevor sie nicht sicher war, was die anderen wussten und was sie ihm sagen würden.
Oh, aber sie wollte nicht hineingehen. Nicht jetzt. Wenn Grandpa Lorenzo irgendwem davon erzählt hatte ... Sie ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. Wenn? Gab es irgendein alternatives Universum, in dem er die Neuigkeiten nicht sofort ausposaunt hätte? Sie wäre nicht überrascht, wenn ihr Vater mit der Flinte in der einen und einer Liste verfügbarer Priester in der anderen Hand an der Haustür stünde.
Das einzig Gute war, niemand würde etwas zu Kelly sagen. Dessen war sie sich absolut sicher. Ihre Familie würde diesem Mädchen niemals wehtun oder es durcheinanderbringen. Wenn sie mit ihren erwachsenen Töchtern doch auch nur so umgehen würden, dachte sie.
Da das Unvermeidliche nicht länger aufzuschieben war, stieg sie schließlich aus dem Auto und ging ins Haus.
In der Küche herrschte das übliche Chaos. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, standen die Grands schon gemeinsam am Herd und bereiteten das Abendessen vor. In den Töpfen blubberte es, auf der Arbeitsplatte lag frisches Gemüse, und der Braten im Ofen verbreitete einen köstlichen Duft. Ihre Mutter stand mit Kelly neben Katie, die am Tisch saß und irgendetwas auf einer Liste notierte. Als Francesca eintrat, drehten sich alle zu ihr um. Es gab eine Sekunde des Schweigens, und in dieser Sekunde wurde ihr klar, dass alle es wussten. Sie zwang sich, nicht auf dem Absatz kehrtzumachen und wegzurennen.
»Hey«, sagte sie stattdessen leise.
Ihre Großmütter eilten zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen. Während sie gedrückt und
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