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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Trotzdem wendete Lewis bei der nächsten Gelegenheit. Befehl ist
Befehl.
    Der Constable in der Leichenschauhalle machte
den Schrank wieder auf. Komische Typen, diese Kollegen von außerhalb.
    Morses Hand war nicht ganz sicher, als er nach
dem vorjährigen Kalender griff und eine bestimmte Seite aufschlug. Dann
lächelte er zufrieden.
    «Vielen Dank, Constable, sehr nett von Ihnen. Ob
ich den Kalender wohl mitnehmen könnte?»
    «Tja, da weiß ich nicht, Sir... Der Super ist
nicht mehr da, und...»
    Morse hob die Rechte wie ein segnender Priester.
«Schon gut. Ist nicht weiter wichtig.» Er wandte sich an Lewis. «Sehen Sie das
da?» Er deutete auf Montag, den 26. September, den Tag, an dem Harry Josephs
ermordet worden war. Lewis runzelte die Stirn, sah hin, sah noch einmal hin.
Das Kalenderfeld war leer.
    «Haben Sie Ihren Sherlock Holmes noch im Kopf,
Lewis?»
    Aber Lewis bekam gar keine Gelegenheit
kundzutun, ob ihm diese berühmte Persönlichkeit der Kriminalliteratur vertraut
war oder nicht, denn Morse schien ganze Holmes-Dialoge auswendig zu können und
begann sogleich zu zitieren:
    «meine Aufmerksamkeit zu lenken wünschen?>
    in der Nacht.>
    nichts begeben.>
    »
    «Aha», sagte Lewis verständnislos.
    «Wieviel gibt der Schlitten her?» erkundigte
sich Morse, während er wieder in den Streifenwagen stieg.
    «Um die neunzig Meilen, auf gerader Strecke ein
bißchen mehr.»
    «Stellen Sie Blinklicht und Sirene an, wir
müssen so schnell wie möglich nach Oxford zurück. Klar?»
    Sie rasten durch das dunkle Land, durch
Bridgnorth und Kidderminster, über die alte Worcester Road nach Evesham und
waren in schier unglaublich kurzer Zeit wieder in Oxford. Fast auf die Minute
eineinhalb Stunden hatten sie gebraucht.
    «Zum Präsidium?» fragte Lewis, als er auf die
Northern Ring Road einbog.
    «Nein. Nach Hause, Lewis. Ich bin total
erschossen.»
    «Aber Sie haben doch gesagt —»
    «Nicht heute, Lewis, ich bin fix und fertig.» Er
zwinkerte Lewis zu, ehe er die Tür des Ford zuschlug. «Hat Spaß gemacht, was?
Schlafen Sie gut. Morgen früh gibt es viel Arbeit.»
    Lewis fuhr vergnügt davon. In seiner
rechtschaffenen Seele wohnten nur wenige Sünden — aber schnelles Fahren war
eine von ihnen.
     
     
     

31
     
    Die Ereignisse der letzten Tage waren Pfarrer
Keith Meiklejohn möglicherweise nicht so nah gegangen, wie sich das wohl gehört
hätte, und da er ein ehrlicher Mensch war, beunruhigte ihn dieser Gedanke. Zwar
hatte er, da er erst im November in sein Amt eingeführt worden war, Vater und
Sohn Morris nicht persönlich kennengelernt, es war also nicht zu verlangen, daß
er von der traurigen Entdeckung der Leichen allzu betroffen war. Doch als er am
Dienstagvormittag um halb zehn in seinem Arbeitszimmer saß, fand er, daß er
eigentlich doch mehr Engagement hätte aufbringen müssen, und er machte sich so
seine Gedanken über sich und seine Kirche.
    Meiklejohn war ein kräftiger, gut gebauter Mann
von einundvierzig Jahren und glücklicher Junggeselle. Seine Kindheit hatte er
in einem von evangelikaler Frömmigkeit erfüllten Elternhaus verbracht, in dem
fanatische Betschwestern und wiedergeborene Baptisten ein und aus gingen. Von
Jugend auf waren die Aussicht auf das ewige Leben und die Schrecken des
feurigen Pfuhls von Schwefel für ihn so real gewesen wie Gummibärchen und die
Landschaft seiner Heimat in Dorset. Während seine Klassenkameraden die
Aussichten ihrer Lieblingsfußballmannschaften oder die Vorzüge ihrer neuen
Rennräder erörterten, hatte Keith sich für kirchliche und theologische Fragen
begeistert, und mit sechzehn war es für ihn ganz klar, daß er Pfarrer werden
würde. Als junger Hilfsgeistlicher war er in Dingen der Liturgie und der
Sakramente zunächst eher protestantisch eingestellt gewesen. Doch dann hatte
ihn die katholische Erneuerungsbewegung des Oxford Movement immer stärker
angezogen, und es fehlte nicht viel zum Übertritt. Diese Phase war überstanden.
Er hatte sich wieder gefangen, konnte jetzt sicher und voller Selbstvertrauen
auf dem Drahtseil der anglikanischen Hochkirche balancieren, und es freute ihn,
daß seine Gemeinde ihm das anscheinend hoch anrechnete. Sein Vorgänger Lionel
Lawson war wegen seiner Einstellung — eher Mitte links als Mitte rechts — offenbar
nicht allgemein beliebt gewesen. Als Lawsons

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