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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ich schon selber
hoch.»
    Gott behüte, dachte Morse und entfernte sich
schleunigst. Darüber vergaß er ganz, daß er der Kirche zwei Pence schuldete.
Und daß er dem wagemutigen Pfarrer von St. Frideswide’s noch eine äußerst
wichtige Frage hatte stellen wollen.
     
    Alles in allem mußten zwanzig Birnen
ausgewechselt werden. Es war wie immer eine langwierige Aktion. Der junge Mann,
der pflichtschuldigst einen Fuß fest auf die unterste Leitersprosse gestellt
hatte, sah krampfhaft geradeaus, während Meiklejohn immer wieder in
schwindelnde Höhen kletterte, wo er sich, auf der vorvorletzten Stufe stehend,
mit der linken Hand an die nackte Wand stützte, sich streckte, die alte Birne
herausdrehte, sie sorgsam in die Jackentasche steckte und mit einer Aufwärtsbewegung
seines rechten Arms, der praktisch seinen Körper in den leeren Raum hob, eine
neue Birne einschraubte. Bei der kleinsten Unvorsichtigkeit, beim leisesten
Schwindelgefühl hätte der gute Pfarrer das schwankende Gleichgewicht verloren
und sich zu Tode gestürzt. Aber zum Glück war er jetzt fast fertig. Die Leiter
stand unter dem letzten Lampenpaar, als die Tür sich knarrend öffnete. Auf der
Schwelle stand eine absonderliche Erscheinung, ein Mann mit ungepflegtem Bart
in einem langen, abgetragenen Mantel und einer dunklen Sonnenbrille, die nicht
in die Landschaft paßte. Er sah sich einen Augenblick um und hatte offenbar
noch nicht gemerkt, daß er nicht allein war. Der Himmel hatte sich bezogen, und
der Strom war zum Auswechseln der Birnen abgestellt worden.
    «Kann ich etwas für Sie tun?» fragte Meiklejohn.
    Der Besucher fuhr zusammen. «Mann, Sie können
einen aber erschrecken.»
    «Bitte schauen Sie sich nur um, bei uns ist
jeder willkommen.»
    «Nein, schon gut. Ich wollte nur... ähem...»
    «Ich kann Sie gleich selbst herumfuhren, wenn
Sie—»
    «Nee, nee. Ist schon gut, Chef.» Er schlurfte
hinaus, und Meiklejohn sah seinen Helfer mit gerunzelter Stirn an. Die Leiter
stand bereit, und er legte die rechte Hand auf die Sprosse über seinem Kopf.
Dann hielt er inne.
    «Erinnern Sie sich noch an meinen Vorgänger, den
armen Mr. Lawson? Er soll mit diesen Pennbrüdern sehr gut zurechtgekommen sein.
Hat oft welche auf ein oder zwei Tage mit nach Hause genommen. Vielleicht
sollte ich auch mehr in der Richtung tun. Aber der liebe Gott hat uns eben alle
verschieden erschaffen.» Er lächelte ein wenig bekümmert und begann den
Aufstieg. «Vielleicht hat der arme Mr. Lawson nicht so gut Glühbirnen
auswechseln können.»
    Sein Helfer lächelte bläßlich und bezog wieder
seinen Posten an der untersten Sprosse, wobei er es vermied, den rasch
entschwindenden Sohlen der schwarzen Pfarrerschuhe nachzublicken. Er war seit
etwa einem Jahr in der Gemeinde (er studierte am Hertfort College) und hatte
Meiklejohns Vorgänger noch gut in Erinnerung. Und nicht nur ihn. Zum Beispiel
glaubte er sich an den Penner zu erinnern, der eben hereingekommen war. Hatte
er ihn nicht ein- oder zweimal in der Kirche gesehen?
     
     
     

30
     
    Die Entscheidung, nach Shrewsbury zu fahren,
fiel spontan und willkürlich, als Morse auf dem Weg zurück nach St. Aldates
war. Und während Lewis den Streifenwagen über den Kreisel an der Woodstock Road
lenkte und auf die A 34 fuhr, machten sich beide insgeheim Gedanken über den
Zeitplan. Es war schon zwanzig nach vier. Zwei Stunden bis Shrewsbury, wenn es
einigermaßen gut lief. Zwei Stunden vor Ort, zwei Stunden für die Rückfahrt.
Mit einigem Glück konnten sie gegen halb elf wieder in Oxford sein.
    Morse sprach wie immer wenig während der Fahrt.
Und Lewis war froh, daß er sich ganz auf den Verkehr konzentrieren konnte. Sie
waren so rechtzeitig weggefahren, daß sie dem täglichen Massenexodus aus Oxford
zuvorgekommen waren, der Viertel vor fünf einsetzt und eine Stunde den Verkehr
fast völlig lahmlegt. Es hatte seine Vorteile, in einem auf den ersten Blick
erkennbaren Polizeifahrzeug zu sitzen. Auch heute hielten sich die anderen
Verkehrsteilnehmer plötzlich äußerst gewissenhaft an die
Geschwindigkeitsbeschränkungen, sobald sie den hellblau-weißen Wagen im
Rückspiegel sahen. Sie legten eine Vorsicht und Rücksicht an den Tag, die in
auffallendem Widerspruch zu ihrer sonstigen aggressiven Fahrweise stand.
    Lewis bog von der A 34 links ab nach Chipping
Norton, fuhr durch Bourton-on-the-Hill, Moreton-in-March und dann, während das
Tal von Evesham sich in einem weiten Panorama vor ihnen öffnete, die

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