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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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rechnen wir nicht in
Zuteilungen.»
    «Hatte Lawson einen Hilfspfarrer?»
    «Zuerst ja. Bei einem so großen Sprengel ist das
meiner Meinung nach unerläßlich.»
    «Aber in den letzten Jahren war Lawson allein?»
    «Ganz recht.»
    «Haben Sie mal Gerüchte gehört, daß Lawson den
Chorknaben zu sehr zugetan war?»
    «Ich finde es sehr — ähem — unpassend, wenn Sie
oder ich —»
    «Ich habe mich kürzlich mit seinem früheren
Direktor unterhalten.» Morse sprach jetzt in sehr dienstlichem Ton. «Und ich
hatte das Gefühl, daß er etwas verschwieg. Ich glaube auch zu wissen, was es
war: daß Lionel Lawson relegiert wurde.»
    «Sind Sie sicher?»
    Morse nickte. «Ich habe den alten Knaben heute
angerufen und es ihm auf den Kopf zugesagt. Er hat es bestätigt.»
    «Relegiert wegen Homosexualität?»
    «Das wollte er nicht bestätigen», sagte Morse
nachdenklich. «Aber er hat es auch nicht geleugnet. Das können Sie auslegen,
wie Sie wollen. Ich verspreche Ihnen, daß ich alles, was ich von Ihnen erfahre,
streng vertraulich behandeln werde, aber es ist meine Pflicht als
Kriminalbeamter, Sie nochmals zu fragen: Haben Sie über Lawson jemals Gerüchte
dieser Art gehört?»
    Meiklejohn sah auf seine Füße und wählte seine
Worte sehr sorgfältig. «Ja, da ist mir schon manchmal etwas zu Ohren gekommen.
Allerdings glaube ich selbst nicht, daß Lawson sich aktiv homosexuell betätigt
hat.»
    «Aber passiv?»
    Meiklejohn sah auf. «Meiner Meinung nach war
Lawson kein Homosexueller», sagte er fest. «Natürlich kann man sich auch irren,
Inspector, aber in diesem Punkt bin ich mir ziemlich sicher.»
    «Besten Dank», sagte Morse, aber es klang nicht
besonders dankbar. Sein Blick ging an den Bücherregalen mit den meist
dunkelblau oder braun gebundenen theologischen Werken entlang. In diesem
düsteren Zimmer hatte Lawson während seiner zehnjährigen Amtszeit in St.
Frideswide’s vermutlich mehrere Stunden täglich gesessen. Was war hier wirklich
geschehen? Welche seltsamen Geschichten vom Menschenherzen und vom Abgrund des
menschlichen Unterbewußten könnten diese Wände, diese Bücher erzählen, wenn sie
eine Stimme hätten? Konnte er noch etwas von Meiklejohn erfahren? Ja, da war
diese letzte, alles entscheidende Frage, die ihm blitzartig gestern abend
eingefallen war, nur wenige Meilen hinter Shrewsbury.
    Er nahm die inzwischen stark mitgenommenen
Gemeindemitteilungen für den Monat April aus der Tasche.
    «Dieses Blatt kommt jeden Monat heraus, nicht?»
    «Ja.»
    Sein Mund war plötzlich trocken. «Haben Sie
Belegexemplare aus den vergangenen Jahren?»
    «Selbstverständlich. Es ist eine große Hilfe,
wenn man das Blatt vom vergangenen Jahr vor sich hat. Natürlich nicht so sehr
über Ostern, aber —»
    «Könnte ich mal die Mitteilungen vom letzten
Jahr sehen?»
    Meiklejohn holte einen Loseblattordner aus einem
Regal. «Welchen Monat möchten Sie denn haben?» Er sah Morse listig an. «Den
September vielleicht?»
    «Ja, den September», bestätigte Morse.
    «Da wären wir. Juli, August...» Er hielt
verwundert inne. «Oktober... November...» Er blätterte zurück zum Januar und
ging die Nummern noch einmal langsam durch. «Der Monat fehlt, Inspector. Ich
frage mich...»
    Auch Morse fragte sich einiges. Aber es konnte
ja nicht so schwierig sein, irgendwo ein Exemplar aufzutreiben. Die Auflage
ging bestimmt in die Hunderte.
    «Wer druckt die Mitteilungen für Sie?»
    «Eine kleine Druckerei in der George Street.»
    «Und die behält vermutlich die Originale?»
    «Ich denke schon.»
    «Könnten Sie das für mich feststellen? Gleich?»
    «Ist es so dringend?» fragte Meiklejohn leise.
    «Ich denke schon.»
    «Sie könnten natürlich auch im Kirchenbuch
nachsehen.»
    «Dem was?»
    «Wir haben ein Register in der Sakristei. Jeder
Gottesdienst — und ich nehme an, daß Sie nach einem Gottesdienst suchen — ist
dort verzeichnet. Zeit, Art des Gottesdienstes, der amtierende Pfarrer,
Kollekte und Besucherzahl — die allerdings häufig nur geschätzt.»
    Morse gestattete sich ein triumphierendes
Lächeln. Da hatte seine Nase also mal wieder nicht getrogen. Die Spur, nach der
er gesucht hatte, war tatsächlich in der Kirche selbst gewesen. Er war
aufgeregt wie jemand, der schon sieben Richtige im Fußballtoto hat und losgeht,
um sich eine Sportzeitung zu kaufen, um das Ergebnis des achten Spiels in
Erfahrung zu bringen.
    Sie gingen die breite Treppe hinunter in die
Diele. Meiklejohn nahm die Jacke von dem

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