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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Kleiderständer, der dunkelbraun
gebeizt war wie fast alle Möbel in dem großen, hallenden Pfarrhaus.
    «Eine Menge Platz hier», sagte Morse, als sie
ins Freie traten.
    Wieder sah der Pfarrer ihn verständnisinnig an.
«Sie meinen, ich könnte hier ein Asyl eröffnen?»
    «Warum nicht? Wie man hört, hat Ihr Vorgänger
hin und wieder Obdachlose aufgenommen.»
    «Ja, ich weiß.»
    Sie trennten sich an der George Street, und
Morse tastete schon erregt nach dem schweren Schlüsselbund in der
Regenmanteltasche, während er den Cornmarket hinunter zu St. Frideswide’s ging.
     
     
     

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    Das dicke, ledergebundene Kirchenbuch stand, wie
Meiklejohn gesagt hatte, auf einem Bord in der Sakristei, und Morse empfand
dieselbe Mischung aus Angst und Erwartung, mit der er als Schuljunge die
Umschläge mit den Prüfungsergebnissen geöffnet hatte. Die Blätter waren blau
liniert, mit einem Zeilenabstand von einem halben Zentimeter, eine Eintragung
ging jeweils über die rechte und die linke Seite des Buches. Auf der linken
Seite standen Wochentag, Datum und Zeit des Gottesdienstes, rechts
Besucherzahl, Betrag der Kollekte und schließlich der Name (fast immer die
Unterschrift) des oder der Geistlichen. In einer Kirche von eher
protestantischem Zuschnitt hätte bestimmt auch noch dagestanden, welche
Bibelstelle in der Predigt abgehandelt worden war. Doch auch mit dem, was er
vor sich sah, war Morse hochzufrieden. Das Register hatte sich von selbst beim
laufenden Monat geöffnet, und er las die letzte Eintragung: «Montag, 3. April,
i9.3oUhr, St. Richard von Chichester. Stille Messe. 19. £ 5.35. Keith
Meiklejohn M. A. (Pfarrer).» Dann ging er weit, etwas zu weit zurück, wie er
feststellte, bis zum Juli des Vorjahres. Er blätterte bis zum August. Ihm wurde
ganz flau, als ihm einfiel, daß jemand die Seite, die er suchte, herausgerissen
haben könnte. Aber nein, da war sie. «Montag, 26. September, 19.30 Uhr.
Bekehrung des St. Augustin. Feierliches Hochamt. 13. —. Lionel Lawson M. A.
(Pfarrer).» Minutenlang sah Morse auf die Eintragung. Hatte er sich doch
geirrt? Denn da stand es, von Lawsons eigener Hand — genaue Angaben über den
Gottesdienst, in dem Josephs ermordet worden war: Datum und Zeit, Anlaß, Art
der Messe (des- halb war natürlich auch Paul Morris dabeigewesen),
Besucherzahl, Kollekte (die Summe war natürlich unbekannt, nur Josephs
Gedächtnis hatte sie vielleicht sekundenlang gespeichert, — ehe der Tod ihn
ereilte), dann Lawsons Unterschrift. Alles vorhanden, alles in Ordnung. Was
hatte er sich erhofft? Doch sicher nicht den Betrag der Kollekte? Eine so
bodenlose Dummheit hätte Lawson sich nicht leisten dürfen, ohne Stunden später
von jedem auch nur einigermaßen tüchtigen Kriminalbeamten verhaftet zu werden.
Nein, einen Fehler dieser Art hatte Morse nicht erwartet. Es war viel
einfacher. Er hatte überhaupt keine Eintragung erwartet.
    Die Tür am Nordportal öffnete sich knarrend, und
Morse verspürte einen Anflug nackter Angst, wie er da so allein in der stillen
Kirche stand. Irgendwo — vielleicht ganz in der Nähe — lief ein Mörder frei
herum und beobachtete die Entwicklung mit bösem, berechnenden Blick. Vielleicht
beobachtete er sogar Morse in dieser Sekunde, wußte, daß die Polizei der
Wahrheit gefährlich nahe gekommen war. Der Inspector ging auf Zehenspitzen zu
dem schweren roten Vorhang vor dem Eingang zur Sakristei und peilte vorsichtig
hindurch. Es war Meiklejohn.
    «Da habe ich Ihnen was mitgebracht, Inspector»,
sagte er munter. «Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen, wir haben um elf
Messe.»
    Er reichte Morse ein doppelseitig bedrucktes
Blatt mit verblaßten Buchstaben. Die Gemeindemitteilungen für September
bestanden aus zahlreichen enggedruckten, durch Sternchenreihen unterteilten
Abschnitten. Den Anfang machten in einer Doppelspalte die bevorstehenden
Veranstaltungen. Morse setzte sich auf die hinterste Bank und vertiefte sich in
das Blatt. Er war noch mit der Lektüre beschäftigt, als ein paar Minuten später
Mrs. Walsh-Atkins langsam durch den Mittelgang kam. Sie tastete sich mit der
Linken von Bankreihe zu Bankreihe bis zu ihrem Stammplatz. Dort kniete sie
nieder und legte zu einer längeren Audienz mit dem Allmächtigen die Stirn in
die linke Armbeuge. Inzwischen waren noch ein paar fromme Seelen, alles Frauen,
erschienen. Morse hatte sie nicht kommen hören. Die Tür am Südportal war wohl
besser mit Öl versorgt als die am Nordportal. Er registrierte diese

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