Eine Messe für all die Toten
Tatsache,
als könne sie noch einmal nützlich sein.
Morse saß den Gottesdienst aus — was
wortwörtlich zu nehmen war, denn er versuchte nicht einmal, die Bewegungen der
wenigen alten Damen nachzuahmen. Sein Antlitz trug — schon weit vor Meiklejohns
feierlichem Segen — einen Ausdruck lächelnder Zufriedenheit.
«Haben Sie gefunden, was Sie suchen, Inspector?»
Meiklejohn beugte sich über den niedrigen Tisch in der Sakristei und machte mit
der rechten Hand die Eintragungen im Kirchenbuch, während die Linke zu der
langen Reihe von Knöpfen an der Soutane ging.
«Ja, ich bin Ihnen sehr dankbar. Nur noch eine
Frage. Können Sie mir etwas über den Heiligen Augustin sagen?»
Meiklejohn sah sich blinzelnd um. «Welchen?»
«Das möchte ich ja gerade von Ihnen wissen.»
«Es gab zwei. St. Augustin von Hippo hat um 400
nach Christus gelebt. Er ist hauptsächlich wegen seiner Confessiones bekannt, der berühmten Bekenntnisse, wie Sie wohl wissen. Der andere,
der Heilige Augustin von Canterbury, lebte ein paar Jahrhunderte später, galt
als Apostel der Angelsachsen und hat das Christentum auf die Britischen Inseln
gebracht. Ich habe ein paar Bücher, die ich Ihnen leihen könnte, wenn —»
«Wissen Sie, wann die beiden bekehrt worden
sind?»
«Bekehrt? Äh — nein, leider nicht. Ich bin gar
nicht sicher, ob dieses Datum bekannt ist, jedenfalls bei unserem St. Augustin
nicht. Aber wie gesagt —»
«Und welchen von den beiden feiern Sie hier?»
Von Meiklejohns Antwort hing alles ab. Die hellblauen Augen richteten sich fast
feindselig vor Spannung auf den Pfarrer.
«Keinen von beiden», sagte Meiklejohn schlicht.
«Vielleicht sollten wir es tun, aber man kann nicht unentwegt feiern, sonst
wäre kein Feiertag mehr etwas Besonderes.»
Als Meiklejohn gegangen war, schlug Morse rasch
über die letzten drei Jahre den Monat September im Register nach und schnurrte
fast vor Zufriedenheit. Das Fest der Bekehrung des einen oder anderen Augustin
war erst im September des vergangenen Jahres eingeführt worden. Unter
Hochwürden Lionel Lawson.
Als Morse gerade die Kirche verlassen wollte,
sah er, daß Mrs. Walsh-Atkins sich erhoben hatte, und ging zurück, um ihr zu
helfen.
«Sie sind eine treue alte Seele», sagte er
freundlich.
«Wenn ich kann, komme ich zu allen
Gottesdiensten, Inspector.»
Morse nickte. «Dann wundert es mich eigentlich,
daß Sie an dem Abend nicht da waren, als Josephs ermordet wurde.»
Die alte Dame lächelte wehmütig. «Ich muß wohl
vergessen haben, mir die Gemeindemitteilungen anzusehen. Das ist leider so,
wenn man älter wird — das Gedächtnis macht nicht mehr so richtig mit.»
Morse geleitete sie zur Tür und sah ihr nach,
wie sie zum Martyrs’ Memorial ging. Er hätte sie über ihre vermeintliche
Gedächtnisschwäche trösten können. Im September jedenfalls hatte sie sich nicht
vertan. Denn in dem Mitteilungsblatt, das Meiklejohn soeben für ihn
aufgestöbert hatte, stand kein Wort über den Gottesdienst, in dem Josephs
ermordet worden war.
33
Lewis hatte einen geschäftigen Vormittag hinter
sich. Er hatte mit dem Büro des Coroner die Einzelheiten über die Leichenschau
Morris — Vater und Sohn — abgesprochen. Er hatte einen ausführlichen Bericht
über die Fahrt nach Shrewsbury geschrieben. Und er hatte gerade den fast wieder
genesenen Bell über die neuesten Entwicklungen informiert, als Morse von St.
Frideswide’s zurückkam. Er schien abgespannt, aber in gehobener Stimmung zu
sein.
«Wann geht die Oxford Mail in Druck,
Lewis?»
«Die erste Ausgabe etwa jetzt, glaube ich.»
«Verbinden Sie mich mit dem Redakteur, aber
rasch, ich habe was für ihn.»
Morse begann hastig zu kritzeln, und als Lewis
ihm den Hörer reichte, war er fertig.
«Bringen Sie das in der heutigen Mail, ja? Und zwar auf der ersten Seite. Kann’s losgehen? Überschrift: VERHAFTUNG IM
MORDFALL ST. FRIDESWIDE’S STEHT KURZ BEVOR. Haben Sie das? Gut. Jetzt der Text.
Ich will ihn wörtlich haben, nicht daß noch irgendein Schlußredakteur daran
herumpfuscht. Ermittlungen im Mordfall Harry Josephs jetzt praktisch abgeschlossen. Es wurde
festgestellt, daß ein eindeutiger Zusammenhang zwischen diesem Fall und den
Toten besteht, die auf dem Turm bzw. in der Krypta der Kirche gefunden wurden
(die Mail berichtete darüber). Sie sind zweifelsfrei als Paul Morris,
früher Musiklehrer an der Roger Bacon School in Kidlington,
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