Eine Mittelgewichts-Ehe
Maiskij von der Sowjetischen Botschaft. Sie war Dolmetscherin für eine Balletttruppe, ein Streicherensemble, einen Mystiker, einen Oberst mit vorschriftswidriger Uniform und mehrere »Diplomaten« mit ungenanntem Rang und Auftrag gewesen. Die meisten von ihnen hatten ihr auf russisch Anträge gemacht. Sie hatte ihre Zukunft immer für beschränkt gehalten. »Ich kann entweder Kommunistin in Wien sein«, sagte sie mir, »oder ich kann Kommunistin in der Sowjetunion sein.«
»Oder du kannst mit mir nach Amerika kommen«, sagte ich.
»Ich glaube nicht, daß Amerika ein sehr guter Ort ist, um Kommunistin zu sein«, sagte Utsch.
»Aber warum bist du Kommunistin?«
»Warum nicht?« sagte sie. »Wer hat sich denn sonst um mich gekümmert?«
»Ich kümmere mich um dich.«
»Aber ich kenne überhaupt keine anderen Amerikaner«, sagte sie.
Ihr Zimmer war voller Pflanzen; sie mochte die Farbe Grün. Wir konnten darin die ganze Nacht reden und schwer atmen und hatten immer frischen Sauerstoff. Aber es war November; auch manche von den Pflanzen starben langsam.
Im Herrenzimmer rasierte sich Heinrich eines Morgens den Kopf. Mein Bart war fast auf einen Zentimeter gewachsen. Heinrichs Schädel schimmerte mir zu. »Ich glaube, Utschka und ich werden in Amerika leben«, sagte ich ihm. Er schien kein Englisch zu verstehen; er starrte mich an, füllte sich den Mund mit Rasierschaum und spuckte ins Waschbecken. Seine Meinung war ziemlich klar. Ich wandte mich wieder meinem Waschbecken zu; ich schickte mich gerade an, mir die Zähne zu putzen, als Heinrichs glänzender Schädel mich ablenkte. Als ich meine Zahnbürste hob, waren alle Stoppeln abrasiert; Willi hatte die Tat vollbracht, während ich mit Heinrich geredet hatte. Ich sah Willi an, der an dem Waschbecken neben meinem stand; er grinste mich an, während er die Rasierklinge wechselte. Er schien auch kein Englisch zu verstehen.
»Das ist komisch«, sagte Utsch. »Willi und Heinrich haben in der Schule ungefähr sieben Jahre Englisch gehabt. Manchmal sprechen sie mit mir Englisch.«
»Stell dir vor«, sagte ich.
Und so gingen wir zu dem goldgeränderten, rotbrokatenen Büro von M. Maiskij in der sowjetischen Botschaft. M. Maiskij sah faltig und alt aus; er starrte Utsch so an, wie ein kränklicher Onkel eine robuste Nichte mit Zuneigung und Bitterkeit überhäuft.
»Ach, Utschka, Utschka«, sagte er. Er redete und redete auf russisch, aber sie bat ihn, englisch zu sprechen, damit ich ihn auch verstehen konnte. Er betrachtete mich traurig. »Sie wollen sie uns wegnehmen, lieber Junge?« fragte er. »Ach, Utschka, Utschka, was würde der arme Kudaschwili sagen? Amerika! Hemmungslos er würde weinen!« rief Maiskij.
»Er würde hemmungslos weinen«, verbesserte Utsch.
»Ja«, sagte Maiskij, die alten grauen Augen in Tränen schwimmend. »Ach, Utschka, Utschka, wenn ich an all die Jahre denke, die ich habe dich aufwachsen sehen! Und jetzt das ...«
»Ich bin verliebt«, sagte Utsch.
»Ja«, sagte ich dümmlich. »Ich auch.«
»Wie konnte das passieren?« verwunderte sich Maiskij. Sein Anzug war von einem schreienden Grau, wenn das überhaupt möglich ist; seine Krawatte, eine Art glänzende Pappe, war ebenfalls grau, desgleichen sein Haar, sein einstmals weißes Hemd, die getönten Gläser seiner Brille und sogar die Farbe in seinen Wangen.
»Sir«, sagte ich, »ich glaube, es wird nötig sein, daß Utsch sagt, sie sei keine Kommunistin mehr - oder sogar, sie sei es nie wirklich gewesen -, damit mein Land ihre Einreisebewilligung nicht verzögert. Aber wir hoffen, Sie wissen, daß das nicht persönlich gemeint ist. Sie hat mir erzählt, wie Sie ihr geholfen haben.«
»Uns abschwören, meinen Sie?« schrie Maiskij. »Ach, Utschka, Utschka ...«
»Ich habe gehofft, Sie würden das verstehen«, sagte Utsch, von dem armen, alten Maiskij ungerührt. Mich rührte er eigentlich ziemlich.
»Utschka!« brüllte Maiskij. »Wenn du nach Amerika gehst, kann es keinen Gott geben!«
»Es gibt sowieso keinen Gott«, sagte Utsch, aber Maiskij starrte himmelwärts, als wolle er Ihn anrufen. Vielleicht wendet er sich an die Proletarier aller Länder, dachte ich, aber er schüttelte bloß den Kopf.
Draußen war es ganz November; Maiskij betrachtete das Wetter. »Von allem ich bin so entmutigt«, sagte er. »Dieses Wetter, wieviel alles kostet, die Ost-West-Beziehungen - und jetzt das.« Er seufzte. »Von der sich verschlechternden Lebensqualität überall ich bin entmutigt,
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