Eine Mittelgewichts-Ehe
Ehefrauen ab; die sind die Creme der Weiblichkeit.« Bücher, Zeitschriften, Karteikarten rutschten auf seinem Schoß durcheinander; meine Mutter stand überrascht neben ihm. Ich dachte an Bruegels Bild und an meinen Vater, wie er darauf vorkommen könnte: Schriftrollen in beiden Händen, beinlos dasitzend, amputiert wie ein Bettler, seinen Becher schlechten Wein zwischen seinen Stumpen eingeklemmt.
»Aus einem Bild aus dem sechzehnten Jahrhundert willst du einen Roman machen!« rief mein Vater. »Eine eindeutig vergeudete Bildung - zumindest eine amokgelaufene. Warum versuchst du's nicht mit dem Orient? Die geben ausgezeichnete Ehefrauen ab.«
Völlig verstört reiste ich nach Europa ab. Auf dem Flughafen verabschiedete ich mich von meiner Mutter (mein Vater weigerte sich zu fahren).
»Gott sei Dank hast du genug Geld in der Tasche, damit du tun kannst, was du tun willst«, sagte sie zu mir.
»Ja, hab ich.«
»Ich bete darum, daß du dich an deinen Vater in besseren Stimmungen erinnerst.«
»Ja, ja.« Ich versuchte, mich an ein paar zu erinnern.
»Danke Gott für deine Bildung, trotz allem, was dein Vater sagt.«
»Mach ich.«
»Er ist in letzter Zeit nicht gut beisammen«, sagte meine Mutter.
»Gott?« sagte ich, aber ich wußte, sie meinte meinen Vater.
»Mach dich nicht lustig.«
»Ja, ja.«
»Er liest zuviel. Das deprimiert ihn.«
»Ich schicke euch Bilder von Wien«, versprach ich. »Die schönsten Postkarten, die ich finden kann.«
»Schreib uns bloß das Positive«, sagte meine Mutter. »Und versuch nicht, etwas hinten auf die Postkarten zu schreiben. Dazu ist nie genug Platz.«
»Ja, ja«, sagte ich und erinnerte mich an noch etwas, was meinen Vater deprimierte: Leute, die hinten auf Postkarten schrieben. »Glauben die etwa, sie sagen irgendwas?« pflegte er zu brüllen.
Er gab mir einen Brief, als ich ihm zum Abschied die Hand schüttelte. Ich sah ihn erst an, als das Flugzeug auf dem Flughafen Schwechat landete. Plötzlich, mitten in unser Abwärtsschlingern und -rollen, spielten die Stewardessen eine alte Aufnahme von Strauß' »An der schönen blauen Donau«. Die aus dem Nichts plärrende, grausige, schmierige Musik schreckte fast alle auf, und die Stewardessen lächelten über ihren kleinen Trick. Ein Mann neben mir bekam einen Wutanfall. »Aaach«, schrie er mir zu; er wußte, daß ich Amerikaner war. »Ich bin Wiener«, sagte er mir, »und ich liebe Wien, aber es ist mir so peinlich, wenn sie diesen elenden Strauß spielen. Warum machen Sie diese fürchterliche Platte nicht kaputt?« blaffte er die Stewardessen an, die weiterlächelten.
Der Mann erinnerte mich an meinen Vater, und mir fiel der Brief ein. Als das Flugzeug aufsetzte, las ich ihn.
Sag Schmalz von mir hallo.
Grüß Kitsch City von mir.
Alles Liebe, der liebe alte Dad.
Und der Rest ist Geschichte. Edith Fuller und ich kamen nach Wien und verliebten uns in unsere Fremdenführer. In ihrem Fall entschloß sich Severin, ihr Führer zu sein, aber in meinem wurde Utsch regelrechter engagiert.
Ich begegnete ihr, als ich mir die Bruegels im Kunsthistorischen Museum ansehen ging. Ich erkundigte mich nach der Standardführung auf englisch. Ich sagte, ich interessierte mich besonders für die Bruegel-Räume und hätte nichts dagegen, die Rubens und all das auszulassen. Es war November, steingrau und barockkalt. Die Touristensaison war vorbei; Wien zog sich in die Häuser zurück. Ein Fremdenführer würde gleich zur Verfügung stehen; man sagte mir, ich könne eine besondere Bruegel-Führung bekommen. (»Er ist einer der Gefragtesten.«) Ich kam mir vor, als wartete ich in einem Delikatessengeschäft auf eines der beliebteren Gerichte. Alles kam einem billig vor. Ich erinnerte mich, was mein Vater gesagt hatte, und wünschte, ich hätte mich vorbereitet und könnte als Autorität für die Renaissance des Nordens die Bruegel-Räume durchschreiten. Ich fragte mich, ob ich vom Standpunkt eines Touristen aus einen historischen Roman konzipiert hatte. Als mir meine Führerin vorgestellt wurde, überraschte mich ihr russischer Name - und außerdem die Schräglage ihres auf ihrer hohen Brust sitzenden Namensschildchens.
»Fräulein Kudaschwili?« sagte ich. »Ist das nicht russisch?«
»Georgisch«, sagte sie, »aber ich bin Österreicherin. Ich wurde nach dem Krieg adoptiert.«
»Wie ist Ihr Vorname?«
»Mein Name ist Utschka«, sagte sie. »Amerikaner sind mir fremd.«
»Utschka?«
»Ja, das ist Slang. Das finden Sie nicht im
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