Eine Mittelgewichts-Ehe
obwohl es vielleicht dort, wo du hingehst, aufregend ist, weil sich dort drüben alles ein bißchen schneller verschlechtert.« Er krümmte den steifen Rücken und gab einen grauen Seufzer von sich. »Von den Werten, die ich sehe die jungen Leute aufgeben, ich bin entmutigt. Die sexuellen Freiheiten, die man sich herausnimmt, die schreckliche Selbstgerechtigkeit der Kinder, die Wahrscheinlichkeit weiterer Kriege, der Luxus, so viele Babys zu haben. Ich nehme an, ihr wollt auch Babys haben?«
Ich fühlte mich schuldig für alles, was Maiskij entmutigte, aber Utsch sagte: »Natürlich werden wir Babies haben. Sie sind einfach alt geworden.« Ich zuckte zusammen. Wer war diese hartherzige junge Frau, die ich mit nach Hause nehmen wollte? Sie war nicht zartfühlend; ich sah vor mir, wie sie meiner Mutter blankes Entsetzen einflößte. Aber vielleicht würde sie dem Pessimismus meines Vater schmeicheln.
Später sagte Utsch: »Einiges an Amerika stört mich allerdings.«
»Was?«
»Die schreckliche Armut, die Autounfälle, die Rassenunruhen, die Sexualverbrechen ...«
»Was?«
»Kocht jeder auf einem - wie heißt das gleich? - Gartengrill?« fragte sie. Ich versuchte, mir ihre Vision von Amerika vorzustellen: ein Land als ein einziges riesiges, qualmendes Grillfest - und als Dreingabe Vergewaltigungen und Polizeischarmützel, Autounfälle und verhungernde Negerkinder.
Wir bekamen die erforderlichen Papiere für Utsch auf dem amerikanischen Konsulat. Der Mann, mit dem wir sprachen, war von vielen derselben Dinge entmutigt, die M. Maiskij entmutigten, aber Utsch und ich blieben guten Mutes. Wir kehrten in das Studentenheim in der Krügerstraße zurück, wo Utsch ihre Abschwörungsrede probte. Als ich ins Herrenzimmer ging, rasierte sich Willi gerade die Augenbrauen ab. »In diesem Moment«, sagte ich ihm, »probt Utsch, wie sie in die Vereinigten Staaten reinkommt.«
»Prob doch selber, wie du reinkommst«, sagte er.
Heinrich kam mit entblößter Brust ins Herrenzimmer, stellte sich vor den Spiegel und zielte mit der Rasiercremedose auf sich, als sei sie ein Deospray; er füllte beide Achselhöhlen mit steifem Schaum, wandte sich vom Spiegel ab und schlug mit den Armen in seine Weichen wie ein ungestümer, unbeholfener Vogel. Schaum spritzte auf die Wände, troff über seine Rippen, tüpfelte seine Schuhe. »Ich glaube, du heiratest sie besser, ehe du sie irgendwohin mitnimmst«, sagte Heinrich.
»Ja«, sagte Willi, brauenlos, so erschreckend wie eine neugeborene Eule. »Das ist das einzig Anständige.«
Ich ging zurück in Utschs Zimmer, um sie zu fragen, ob sie einverstanden sei. Wir verglichen unsere Ehephilosophien. Wir sprachen von Treue als der einzigen Basis. Wir hielten konventionelle »Affären« für doppelte Täuschungen, erniedrigend für alle Beteiligten. Wir betrachteten »Arrangements« als gefühllos - die Art von Vorausplanung, die das Gegenteil von echter Leidenschaft ist. Wie Leute sich dergleichen vorstellen konnten, ging über unseren Horizont. Wir spekulierten über die Klugheit des »Partnertausches«; er schien kaum klug zu sein. Ja, er schien das Eingeständnis einer unverzeihlichen Langeweile zu sein, völlig dekadent und eine grobe Verschwendung des erotischen Verlangens. (Philosophie ist ein ziemlich einfältiges Fach, wenn man sich gerade in jemanden verliebt hat.)
Vom amerikanischen Konsulat wurden weitere Genehmigungen benötigt und erteilt, ehe wir heiraten konnten. Da Österreich ein katholisches Land ist, ich kein Katholik und Utsch schon lange abgefallen war, war es am einfachsten, in einer nichtkonfessionellen Kirche zu heiraten. Der amerikanische Konsul sagte uns, daß diese Kirche von den meisten Amerikanern, die in Wien heirateten, bevorzugt werde. Sie hieß American Church of Christ und war in einem modernen Gebäude; der Geistliche war ein Amerikaner aus Sandusky, Ohio, der sagte, er sei als Unitarier aufgezogen worden. »Aber das macht nichts«, sagte er uns; er lächelte viel. Er sagte zu Utsch: »In den Staaten werden sie Ihren Akzent lieben, Schätzchen.«
Die Kirche selbst lag im vierten Stock, und wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf. »Manche jungen Leute nehmen gern die Treppe«, sagte uns der Geistliche. »Da haben sie mehr Zeit, darüber nachzudenken. Letztes Jahr hat sich's ein Paar auf der Treppe anders überlegt, aber im Fahrstuhl hat sich's noch nie jemand anders überlegt.«
»Wieso ›anders überlegt‹?« fragte Utsch.
»Ist sie nicht reizend?« sagte
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