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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eher etwas für Pflanzen.«)
    Sie machte Gymnastikübungen wie ein Mann - Rumpfbeugen und Liegestütze und andere. Natürlich hatte Hauptmann Kudaschwili sie gemacht. Ich sah ihr wirklich gerne dabei zu.
    »Was heißt ›We're married‹ auf deutsch?« fragte ich.
    »Wir sind verheiratet«, sagte sie.
    Ich ging den Gang hinunter ins Herrenzimmer, aber Heinrich und Willi waren nicht an ihren Waschbecken; es war keine Rasierzeit. Einer von ihnen hatte eine Dose Rasierschaum auf dem Glassims liegenlassen. Ich schüttelte den Inhalt durch, denn ich stellte mir vor, über die ganze Länge des Spiegels mit Schaum WIR SIND VERHEIRATET! zu schreiben, aber es schien nicht mehr genug da zu sein. Als der Mann mit dem Loch in der Wange aus dem Klo hinter mir trat, ging die Rasierschaumdose in meiner Hand los.
    Er war ziemlich alt, und das Loch war genau so, wie Utsch es beschrieben hatte. Ich konnte nicht erkennen, ob es schwarz war, weil es bodenlos oder weil sein Fleisch irgendwie verkohlt geblieben war. Dieses schreckliche, wunde Loch zog den Blick an, aber man konnte es nicht ertragen, es anzusehen.
    »Wir sind verheiratet«, sagte ich auf deutsch zu ihm, denn diesen Satz hatte ich vorbereitet.
    »Ja, ja, ich weiß«, sagte er müde, ungeduldig. Er ging langsam zu der Reihe von Waschbecken, lehnte sich an eines und starrte sich im Spiegel an. »Also«, sagte er nach kurzem Schweigen, »erzählt sie dir von mir - ich seh's an deinem Blick.«
    »Ja«, sagte ich, »aber sie glaubt, Sie sind ein Hirngespinst. Hab ich auch geglaubt.«
    »Gut, gut«, sagte er. »Um so besser. Der Job ist vorbei. Du nimmst sie mit, und ich bin zu alt und zu arm, um ihr weiter zu folgen. Amerika!« schrie er plötzlich auf, als täte ihm etwas weh. »Ich wünschte, jemand nimmt mich mit nach Amerika!«
    Er sah mich an. Er sah nicht mehr wie ein Gangster aus oder wie ein gedungener Killer oder Leibwächter oder Spion; er sah aus wie ein heruntergekommener Juwelier, der nichts für seine Gesundheit oder seine Kleidung, sondern alles für teure Ringe und Colliers für Frauen ausgab, die ihn stets verließen. Er hätte sein Geld besser für eine kunstvolle Brosche ausgegeben, die sein Loch verdeckte; was er brauchte, war eine Art Wangen-Nadel. Natürlich wäre sie kompliziert zu befestigen gewesen. Ich glaubte nicht, daß er eine Pistole trug.
    »Was hältst du von meinem Englisch?« fragte er.
    »Ziemlich gut«, sagte ich.
    »Ja, ist es«, sagte er. »Sie lernt es, also lern ich es. Sie läuft in diesem alten Museum rum, ich laufe auch drin rum. Sie macht Straßenbahnfahrten zu den unmöglichsten Zeiten, ich versuche, ihr nachzugehen. Meistens sieht sie mich nicht, aber manchmal bin ich unvorsichtig. Ich werde alt«, sagte er. »So sieht's aus.«
    »Warum folgen Sie ihr?« fragte ich ihn. »Arbeiten Sie immer noch für die Russen?«
    Er spuckte ins Waschbecken und schüttelte den Kopf. »Russen und Amerikaner sind dasselbe«, sagte er. »Ich verspreche es Kudaschwili. Ich sage ihm, ich kümmere mich um sie, bis sie zu ihm zieht. Woher soll ich wissen, daß Kudaschwili umgebracht wird? Ich habe ein Versprechen gegeben: Ich kümmere mich um seine Utschka. Aber jetzt nicht mehr. Wer denkt denn, sie braucht fünfundzwanzig Jahre zum Heiraten?«
    »Mein Gott«, sagte ich. »Sie hätten es ihr sagen sollen.«
    »Sie haßt mich«, sagte er. »Ist natürlich unfair. Ich arbeite also einmal für Benno Blum, na und? Dann arbeite ich für Kudaschwili. Hält sie ihn für einen Engel?«
    »Sagen Sie es ihr doch jetzt«, sagte ich. »Zeigen Sie ihr doch, daß es Sie wirklich gibt. Aber vielleicht lassen Sie mich zuerst mit ihr sprechen, sonst ...«
    »Bist du verrückt?« fragte er mich. »Es ist alles aus. Sie sieht mich nie wieder, warum soll sie mich jetzt sehen? Sie denkt, ich bin ein Traum. Du sagst ihr, daß sie nicht mehr von mir träumen wird. So ist es. Du heiratest sie, jetzt kümmerst du dich um sie.«
    »Aber ja, ja«, sagte ich ihm. Er wirkte noch aufrichtiger als unser Geistlicher. Mein Versprechen an ihn schien schwerwiegender als mein Ehegelöbnis. Aber plötzlich sackte er gegen das Waschbecken, warf einen kurzen, kranken Blick auf sein Spiegelbild, wandte sich schluchzend ab und plumpste leise weinend gegen die Reihe Klos.
    »Ich lüge dich an«, sagte er. »All die Jahre habe ich gehofft, sie sieht mich bloß einmal, ohne zu schreien und zu zittern, wie wenn sie ein Ungeheuer sieht. Wie sie jünger ist, schaut sie mein Gesicht an, als ob es ihr

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