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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Tunnel, beim Lichtschalter zu einem der Squashräume, würde Edith ihren Mut zusammennehmen und darauf warten, daß er in sie hineinlief. Erschreckt würden seine Hände herumtasten und ihr Gesicht finden; sie war sicher, daß er ihren Knochenbau erkennen würde. Vielleicht würde er schreien; dann würde Audrey Cannon schreien, und Edith würde auch schreien. Alle drei würden sie in diesem widerhallenden Tunnel kreischen! Dann würde Edith das Squashraumlicht anknipsen und sich ihnen zeigen - sie mit ihrem Anblick blenden.
    Irgendwie hatte ihr Kummer Fiordiligi aufgeweckt. »Wo gehst du hin?« fragte das Kind; Edith war nicht klar gewesen, daß sie so aussah, als ginge sie irgendwohin, aber sie hatte noch ihren Mantel an, und als ihre Tochter fragte, wurde ihr klar, daß sie gehen würde. Sie sagte Fiordiligi, daß sie vor dem Frühstück zurück sein würde.
    Während der ganzen schlitternden Fahrt zurück zur Sporthalle dachte Edith an den Chlorgeruch in Severins Haar. Als sie sah, daß das Licht in der Ringerhalle immer noch brannte, schloß sie die Sporthalle auf und tastete sich mit Hilfe ihres Feuerzeugs durch sie hindurch. Einmal ging ihr Feuerzeug aus und ließ sich nicht wieder anzünden, und sie weinte ein paar beherrschte Minuten lang in einem Raum, der sich als die Männerdusche erwies; sie hatte einen Zugang zur Schwimmhalle: Edith fand die Unterwasserbeleuchtung, knipste sie an und wieder aus, ging die Treppe hinauf und setzte sich in eine Ecke in der ersten Reihe des Balkons. Sie fragte sich, ob sie im Dunkeln schwammen oder die Unterwasserbeleuchtung anmachten.
    Es kam ihr so vor, als habe sie lange dort gesessen, ehe sie ihre Stimmen hörte; sie kamen durch die Dusche aus der Sauna. Sie sah ihre Silhouetten - eine kleine, dicke und eine, die humpelte. Sie hechteten einzeln ins Becken, man hörte Gestöhn von beiden, als sie auftauchten, und sie trafen sich fast in der Mitte des Beckens. Edith war überrascht, daß sie die Beleuchtung angemacht hatten; sie hätte erwartet, daß Severin die Dunkelheit bevorzugte, aber diesen Severin kannte sie nicht. Sie waren so graziös und ausgelassen wie Seehunde. Mit besonderem Schmerz dachte sie, daß Severin Audrey Cannons Kleinheit lieben mußte; wie stark er sich bei ihr vorkommen mußte; er war zwar ein starker Mann, aber bei ihr war er auch groß. Einen Moment lang wünschte sie, sie könnte sich auf dem Balkon verstecken; sie schämte sich so, daß sie verschwinden wollte.
    Dann sah Audrey Cannon sie in der ersten Reihe des unteren Balkons sitzen, und ihre Stimme durchbohrte sie alle; im hin und her prallenden Schall der Schwimmhalle erreichte ihre Stimme sie in Stereo. Sie sagte: »Es ist Edith, es muß Edith sein.« Edith stellte zu ihrer Überraschung fest, daß sie bereits auf den Beinen war und die Treppe hinunter auf sie zu kam; gleich darauf stand sie am Beckenrand. Angeleuchtet in dem blaugrün schimmernden Becken dümpelnd, waren Audrey Cannon und Severin plötzlich so verwundbar wie Wesen in einem Aquarium. Edith sagte, sie habe gewünscht, sie hätte heimlich ein Publikum versammelt - sie hätte den ganzen Balkon gefüllt, vielleicht mit der Ringermannschaft, ganz gewiß mit der Deutschen Abteilung und natürlich mit seinen Kindern. »Später habe ich mir gewünscht, ich hätte den Mut gehabt, bloß mit Fiordiligi und Dorabella dort auf sie zu warten«, sagte sie. »Bloß wir drei, vielleicht alle in Pyjamas.«
    »Er hat wirklich an Sie gedacht«, sagte ihr Audrey Cannon, aber Edith streifte am Beckenrand entlang, als suchte sie nach Händen, auf die sie stampfen könnte, als wäre sie eine Katze, darauf erpicht, jeden Fisch im Glas zu fressen. Als Severin herauszukommen versuchte, stieß sie ihn wieder hinein. Sie schrie und brüllte ihn an, weiß allerdings nicht mehr, was sie sagte. Er sagte nichts; er trat Wasser. Während er Ediths Aufmerksamkeit auf sich lenkte, schlüpfte Audrey Cannon auf der anderen Beckenseite heraus und humpelte auf die Duschen zu. Es war das letzte, was Edith je von ihr sah: ihren schmalen, knochigen Rücken, ihre schlanken Sprinterbeine, ihre kleinen, spitzen Brüste, ihr Haar, so dunkel und üppig wie feuchte Schokolade. Ihr gequältes, groteskes Humpeln rüttelte ihre spitzen Hüften, machte aber ihren hochgewölbten, festen Hintern, so klein wie der Hintern eines Zwölfjährigen, nicht einmal zittern.
    »Ich könnte dich kriegen, du Krüppel!« schrie Edith hinter ihr her. »Ich könnte dich einholen und dir

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