Eine Mutter fuer die kleine Cassie
solltet es tun, Grant. Ich weiß, es ist schwer, aber … na ja, wir haben vorhin mit einander gesprochen. Hugh, Dorothy und ich. Ich glaube … ich weiß, dass sie sehr leiden.”
“Gut”, sagte Grant, obwohl er es nicht so meinte. “Was glaubst du denn, was ich tue?” Er versuchte, den alten Schmerz, den Zorn zu empfinden, zum Vorschein kamen jedoch nur Verbitterung und Zynismus. Und die Angst, dass er vielleicht nicht mehr verzeihen konnte.
Der Gedanke rief in ihm Übelkeit hervor. Er setzte sich ans Fußende des Bettes und stützte den Kopf auf die Hände. “Ich weiß es nicht”, flüsterte er. “Ich weiß es nicht.”
Er war nicht sicher, mit wem er sprach, ja nicht einmal, was er eigentlich meinte. Lange vergrabene Gefühle drängten an die Oberfläche. Er konnte sie nicht abschütteln, bekam sie nicht mehr unter Kontrolle.
“Geh und sprich mit ihm”, sagte Sharon leise. Sie setzte sich hinter ihn und strich ihm beruhigend und tröstend über die Schultern. Er wollte sich in ihrer Nähe, in ihrer Zärtlichkeit verlieren, sie an sich ziehen und für einen Moment vergessen, dass es außer ihnen beiden noch etwas anderes gab. Es war ihm nicht so sehr ein körperliches als vielmehr ein seelisches Bedürfnis.
“Ich bin nicht sicher, ob ich ihm vergeben kann”, gestand er widerwillig.
Sie hörte nicht auf ihn zu streicheln. “Du kannst es.”
Die Gewissheit in ihrer Stimme ließ ihn matt lächeln. Er mochte Zweifel haben, sie offenbar nicht.
“Ich könnte mitkommen”, bot sie ihm an.
“Nein.” Er schüttelte den Kopf. “Das ist etwas, das ich allein tun muss.”
Aber allein die Tatsache, dass sie da war und ihm mit Worten und Berührungen Mut machte, gab ihm Kraft. Ihre Zuversicht steckte ihn an.
Er hob die Arme und ergriff, ihre Hände und drückte sie kurz, bevor er aufstand, das Schlafzimmer verließ und den dunklen Flur entlangging. Sein Hals wurde trocken, seine Hände ballten sich wie von selbst zu Fäusten, und jeder Muskel in seinem Körper spannte sich wie straffer Stacheldraht.
Erst dachte er, die Küche wäre leer. Dann hörte er ein Schluchzen und erstarrte. Hugh stand im Halbdunkel am Fenster, die Stirn an der Scheibe, die Schultern bebend.
Schmerz durchzuckte Grant, als Hugh noch einmal schluchzte. Ein Schmerz, der seine Trauer nur noch steigerte und nichts änderte. “Nein.” Das Wort kam leise, aber aus tiefster Seele. Er trat vor und packte Hughs Schultern. Hugh verkrampfte sich, wollte sich losreißen, doch Grant ließ es nicht zu.
Und dann lagen sie einander in den Armen und hielten einander fest, wie Männer es nur selten tun. Sein Exschwiegervater war so schmal, dass Grant ein unerwartetes Mitgefühl in sich aufsteigen fühlte. Hugh wirkte fast zerbrechlich. Sein ersticktes Schluchzen, sein heftiges Atmen gingen Grant ans Herz, bis ihm selbst die Tränen kamen. Bis ihrer beider Schmerz verschmolz, und er nicht mehr wusste, wer wen tröstete.
Irgendwann lösten sie sich voneinander. Hugh schüttelte verlegen den Kopf. “Wir benehmen uns wie zwei alte Frauen, was?”
Grant holte tief Luft und musste plötzlich schmunzeln.
“Na ja …” Hugh lächelte. “Wenigstens hat uns niemand gesehen.”
Erst jetzt konnte Grant lachen, leise zwar, aber erleichtert. Auch Hugh lachte. Dann verstummte er, legte Grant eine Hand auf die Schulter und schaute ihm in die Augen. “Ich würde gern versuchen, dir alles zu erklären”, sagte er.
Die einfachen, klaren Worte und der flehentliche Blick rissen Grants letzte Barrieren nieder.
Dies war ein Mann, den er einmal geliebt hatte, und er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Er nickte, und sie setzten sich an den Küchentisch. Im Dunkeln schien ihnen beiden das Reden leichter zu fallen.
Die Worte strömten aus Hughs Mund wie Wasser durch ein sich öffnendes Schleusentor. Er erzählte, wie Catherines Krankheit ihn und Dorothy so zornig und traurig gemacht hatte, dass sie jemandem die Schuld daran geben mussten. Egal wem. Und Grant war ein beque mes Opfer gewesen. Sie hatten nicht an seinen Schmerz gedacht, nur an ihren eigenen. Sie hatten Logik und Vernunft vergessen. Und sie durch Wut und Angst und Trauer ersetzt.
“Du bist nicht der einzige, dem wir das angetan haben”, gestand Hugh. “Frag alle unsere Angehörigen und Freunde. Und als Catherine … von uns gegangen war, haben wir irgendwie den Verstand verloren. Wir hatten Angst, dass wir dich auch noch verloren hatten. Wir waren sicher, dass wir auch Cassie
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