Eine Nacht in Bari
Toilette vom Jolly betäubt wurden.«
»Stimmt, obwohl eigentlich die Arena Giardino die bessere Kulisse für eine schöne Horrorgeschichte wäre. Sie hätte auch George Romero gefallen. Diese Arena gibt es aber nicht mehr, oder?«
»Nein. Vielleicht hat sie sogar noch vor dem Jolly zugemacht.«
»Diese Arena gefiel mir so gut, weil sie so … ich finde das italienische Wort dafür nicht, sie war creepy , ein Ort, an dem merkwürdige Dinge passierten. Mädchen, die entführt wurden und als Sklavinnen verkauft, oder ein
Untoter, der ein paar Reihen weiter vor einem saß und schon den Moment vorkostete, in dem er einen in Stücke reißen würde …«
»Du hast ein wenig zu viel getrunken, glaube ich«, sagte Giampiero. Der Ton lag auf halber Strecke zwischen Scherz und Sorge.
»Oder zu viel Lansdale gelesen«, fügte ich hinzu.
»Und das ist noch nicht alles. Kennt ihr die Geschichte von dem Mädchen an der Mautstelle Bari Nord?«
»Das Mädchen von wo?«, fragte Giampiero.
Paolo lächelte. Dann holte er die Flasche aus der Manteltasche und nahm erneut einen Schluck.
Auch Giampiero und ich setzten uns auf den Boden, den Rücken an die Mauer gelehnt. Ich dachte, Teufel noch mal, ich will auch ein bisschen Alkohol, und bat Paolo, mir die Flasche zu reichen, da ich meine im Auto gelassen hatte. Er gab sie mir mit dem Rat, es nicht zu übertreiben, und erzählte uns dann die Geschichte von dem Mädchen an der Mautstelle Bari Nord.
»Ein Freund eines Freundes von mir fuhr auf der Autobahn, er war auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise. Es war mitten in der Nacht, im November, an einem jener seltsamen und seltenen Abende, an denen es in Bari neblig ist. Jene Abende, an denen alles möglich ist. An der Mautstelle der Autobahnausfahrt von Bari Nord, als er gerade zahlen will, hört er jemanden an das Fenster auf der anderen Seite des Autos klopfen. Er lässt die Scheibe herunter und sieht ein hübsches blondes Mädchen, ein wenig blass und mit lediglich einer Bluse bekleidet, obwohl es kalt und sehr feucht ist. Das Mädchen
bittet darum, mitgenommen zu werden, denn – so sagt sie – sie hatte einen Unfall. Der Freund meines Freundes lässt sie einsteigen und fragte sie, wohin er sie bringen soll. Ans Ende der Via Crispi. Er wundert sich ein wenig, denn das Mädchen wirkt sehr elegant, wenn auch ein wenig zart und irgendwie … verschwommen. Ja, das war es: Sie wirkte verschwommen. Am Ende der Via Crispi ist der Friedhof, es gibt sehr einfache Häuser, Baracken, Fabrikhallen, die Werkstätten der Steinmetze, die für den Friedhof arbeiten. Das schien nicht die Gegend zu sein, in der so ein Mädchen zu Hause ist.«
Paolo machte eine Pause und prüfte, ob er unsere Aufmerksamkeit gefesselt hatte.
»Ach, ich vergaß, dass das Mädchen einen Hornkamm in der Hand hatte, der wie eine Antiquität aussah und dem Fahrer sofort auffiel, denn sonst hatte das Mädchen nichts bei sich. Wie auch immer: Sie kommen an die Stelle, wo die Via Buozzi in die Via Crispi übergeht.«
»Du meinst, beim Friedhof.«
»Beim Friedhof, genau. Das Mädchen sagt, es könne dort aussteigen, dort, wo es gar keine Häuser gibt. In der Zwischenzeit ist der Nebel noch dichter geworden, und der Typ, der ein netter Mensch ist, bietet an, sie zu Fuß bis nach Hause zu begleiten. Sie dreht sich um und sieht ihn einen Augenblick lang an. Nur einen Augenblick, aber er sagt, dass dieser Blick ihm das Blut in den Adern hat stocken lassen. Dann haucht das Mädchen ein ›Ciao‹, das kaum zu hören war, und springt aus dem Auto. Er
sieht zu, wie sie im Nebel verschwindet, und als er sie kaum noch sieht, hat er den Eindruck, sie klettere über eine Mauer. Er will schon aussteigen, um nachzusehen, aber dann verlässt ihn der Mut und er fährt schließlich nach Hause. In der Nacht kann er nicht schlafen, oder zumindest schläft er schlecht und hat Albträume. Am nächsten Tag ist der Nebel verschwunden, auch wenn es ein grauer Tag ist. Das machte es ihm weniger schwer, Mut zu fassen und das Mädchen zu suchen. Also fährt er zum Friedhof und sucht die Stelle, an der das Mädchen über die Mauer geklettert ist. Er merkt gleich, dass die Mauer sehr hoch ist und dass er selbst es nicht schaffen würde, hinüberzuklettern. Wie zum Teufel hat sie das nur gemacht, denkt er. Er geht zum Haupteingang und erkennt von innen die Stelle, an der das Mädchen über die Mauer geklettert ist. Der Abend war sehr feucht gewesen, und er findet ihre Fußabdrücke. Er geht
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